Die Staatsanwältin und der «Prügelpolizist»
Vor dem Amtsgericht Tiergarten ist die Staatsanwältin Ute J. angeklagt wegen versuchter Nötigung, weil sie einem Polizisten gedroht haben soll. Außerdem soll sie die Corona-Maßnahmen-Verordnung der Regierung mit der Zeit des Nationalsozialismus verglichen haben. Der Beamte, der sie heute mit seiner Aussage vor Gericht schwer belastet hat, ist selber Angeklagter wegen Körperverletzung im Amt in zwei Fällen. Im Prozess thematisiert der Polizist mehrfach den Sohn der Staatsanwältin, den YouTuber «Ketzer der Neuzeit», obwohl der Sohn bei der mutmaßlichen Tat nicht dabei war und mit den Vorwürfen gegen die Mutter nichts zu tun hat.
Am 26. Juli begann, nach zwei mißglückten Anläufen im Februar und Mai, die mündliche Hauptverhandlung gegen die Staatsanwältin, die am 1. Juni 2020 nach einer Mahnwache am Bundeskanzleramt in einer polizeilichen Maßnahme im Tiergarten war.
Um 20:46 Uhr kontrollierte eine Polizeieinheit den Zeugen Geronimo, ein Bekannter der Staatsanwältin, der im Tiergarten die Abstandsregel verletzt haben soll. Zur damaligen Zeit war das eine Ordnungswidrigkeit, die von der Polizei verfolgt wurde. Über den Ablauf der nun beginnenden Polizeikontrolle, die schnell in Festnahmen der Staatsanwältin und ihres Bekannten mündete, gehen die Ansichten auseinander.
Das Gericht versucht in der Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen die Vorwürfe gegen die Staatsanwältin zu klären.
Dominic H. ist einer von vier Polizeibeamten, die heute als Zeugen ausgesagt haben. In anderen Strafverfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten ist er Angeklagter. Ihm wird vorgeworfen, am 21.04. und 01.08.2021 in zwei Fällen Teilnehmer von Versammlungen gegen Corona-Maßnahmen misshandelt zu haben. Mehrere Zuschauer aus der Szene, die heute im Saal den Prozess beobachten, sprechen verächtlich über ihn und nennen ihn «den Prügelbullen». Auch in überregionalen Medien ist der Beamte als «Prügelpolizist» bekannt.
Er war am 1. Juni auf der Demonstration am Bundeskanzleramt im Einsatz als Zugführer des 3. Zugs der 14. Einsatzhundertschaft (EHu) und zuständig für Versammlungsschutz.
Polizist H. sagt im Zeugenstand aus, die Staatsanwältin sei ihm bereits auf der Mahnwache vor dem Bundeskanzleramt aufgefallen, deren Teilnehmer die Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus verletzten.
Nach der Auflösung der Kundgebung fuhr Polizist H. mit der 14. EHu im Regierungsviertel auf Streife und suchte nach Personengruppen, die sich nicht an die Coronaregeln halten.
Am Brandenburger Tor sah er eine ca. zehnköpfige Gruppe, die sich nicht Coronakonform verhalten habe. Unter ihnen seien ehemalige Versammlungsteilnehmer wie Frau J. gewesen.
Um die fünf Personen seien kontrolliert worden, die anderen konnten flüchten. «Das war der normale Wahnsinn, der uns da während der Maßnahme entgegen schlug», erinnert sich Polizist H. und erzählt über Geronimo: «Einer rief während der Polizeikontrolle den Polizeinotruf 110, weil er überfallen werde. Jede Rechtmäßigkeit des polizeilichen Einschreitens wurde von der Gruppe abgesprochen, auch und besonders vehement durch Frau J.»
Daß die Leute lautstark Unmut bekundeten über polizeiliche Maßnahme und sich dagegen wehrten, das sei normal gewesen für dieses Klientel auf den Corona-Demos, sagt Polizist H. Während der Identitätsfeststellung und der Beweissicherung werde man immer wieder in Diskussionen reingezogen. Das härte einen schon ab als Polizist.
«Frau J. tat sich jedoch besonders hervor unter den Leuten, die Unmut bekundeten, und zog zu den polizeilichen Maßnahmen einen Vergleich zu den Konzentrationslagern in der Nazizeit.»
Polizist H. sagte in seiner Zeugenaussage, daß er der Staatsanwältin im Tiergarten gesagt habe, er werde aufgrund ihres Vergleichs der Corona-Maßnahmen-Verordnung der Regierung mit dem Nationalsozialismus «einen Bericht über das hier Geschehene» an die Staatsanwaltschaft schicken, «weil jemand, der im Staatsdienst ist, in der Szene der Staatsdelegitiemierer aktiv ist». Er habe zur Angeklagten gesagt: «Das interessiert die Staatsanwaltschaft bestimmt.» Daraufhin habe sie ihm gedroht: «Seien Sie vorsichtig! Ihr Gesicht merke ich mir!»
Polizist H. ergänzt, die Staatsanwältin habe typisches Diskussionsvokabular von Querdenkern oder Reichsbürgern verwendet, was er allerdings weder konkretisieren noch belegen konnte. Er meinte, solche Leute, würde man heute zu den «Delegitimierern» des Staates zählen und daß er sich über die Staatsanwältin gerade deshalb geärgert habe, weil sie für den Staat arbeite. Eine Straftat habe er nicht feststellen können, deshalb habe er auch nur den Bericht an die Staatsanwaltschaft geschrieben, um dienstrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen.
Polizist H. erinnert sich, daß ihm die Angeklagte aus vorherigen Einsätzen bekannt sei. «Schon als es im Frühjahr 2020 losging, hat sie sich zusammen mit ihrem Sohn öffentlichkeitswirksam auf dem Rosa-Luxemburg-Platz wegräumen lassen.»
Die Staatsanwältin und ihr Sohn, der YouTuber «Ketzer der Neuzeit», seien dem Polizeibeamten auf dem Rosa-Luxemburg-Platz aufgefallen. «Frau J. und ihr Sohn, der sitzt ja auch da hinten, waren dort an einem sonnigen Tag auf dem Rosa-Luxemburg-Platz und stachen aus der Querdenker-Szene heraus, weil sie so schick angezogen waren.»
Der Verteidiger der Angeklagen will wissen, weshalb Polizist H. den Sohn der Staatsanwältin sofort unter den Zuschauern im Gerichtssaal erkannt habe? «Ihr Sohn ist ein bekannter rechter YouTuber. Als Polizeibeamter dieser Stadt habe ich seit langer Zeit mit solchen Leuten zu tun. Ihr Sohn ist polizeilich bekannt und dem Staatsschutz bekannt», antwortet der Zeuge.
Bereits im Oktober 2020 habe die Angeklagte am Rande einer Demonstration im Prenzlauer Berg das Gespräch mit ihm gesucht, sagt Polizist H., in dem eine ähnliche Argumentationskette losgegangen war: «Das hat sich alles ein bißchen verrückt angehört, das war ein sinnloses verbales um sich schlagen und mir wurde klar, wessen Geistes Kind sie ist», erinnert sich der Zeuge an die Angeklagte, die bereits damals zu ihm gesagt habe, daß sie Staatsanwältin sei. Einen Anlass zu polizeilichen Maßnahmen habe sie im Oktober nicht geliefert. «Es war zwar verrückt, was die gesagt hat, vor allem für jemanden, die Staatsanwältin ist, aber ich bin Recht und Gesetz verpflichtet.»
Polizist H. erinnert sich noch, daß die Angeklagte gesagt habe, sie sei bereits 1989 gegen das Unrechtsregime auf die Straße gegangen und sehe sich auch heute wieder in der Pflicht, Widerstand zu leisten. Sie finde die Corona-Verordnungen schwachsinnig. Sie brüstete sich damit, Verfahren einzustellen, die Verstöße gegen Corona-Verordnungen betreffen.
Auch der Polizist C. bestätigt dem Gericht, die Angeklagte habe sich damit gebrüstet, «mehrere Verfahren einzustellen», weil sie Beschuldigte betreffen, die wegen Verletzung der Maßnahmen belangt werden sollten.
Der Zeuge Geronimo sagt über die polizeiliche Maßnahme, er sei überrascht gewesen, mit «der Frau Staatsanwältin J. in dieser Szenerie» am Brandenburger Tor zu sein. Er habe sich gegen einen Platzverweis wehren wollen und habe deshalb die Polizei per Telefon um Hilfe angerufen während der polizeilichen Maßnahme. Polizist H. habe ihm mit seinen Handschellen die Arme auf dem Rücken verbunden und sagte: «Nicht verkrampfen.» Frau Staatsanwältin J. habe den Polizeibeamten H. rechtlich belehrt, daß sein Vorgehen rechtswidrig sei und habe der Polizei ihren Dienstausweis als Staatsanwältin gezeigt.
Daraufhin habe Polizist H. gesagt: «Ach, Sie sind Staatsanwältin? Sind Sie schon suspendiert? Wenn nicht, schreiben wir einen Brief an die Generalstaatsanwaltschaft.»
Die Angeklagte habe erwidert, so Geronimo, das Vorgehen der Polizei sei vergleichbar mit dem was in der NS-Zeit passiert sei. Aber daß die Angeklagte etwas über Konzentrationslager gesagt habe, so etwas habe der Zeuge nicht gehört.
Nachtrag: Die Angeklagte wurde am 23. August freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.