Der „Diktator“ als Trauzeuge
Immer wenn ich dachte, die Medienhetze gegen Özil und Erdoğan sei endlich vorbei, werde ich eines Besseren belehrt. Ich weiß noch, was ich letzten Sommer gehofft habe. Ich wünschte mir, diese Volksverhetzung möge endlich ein Ende nehmen mit Beginn der WM in Russland. Doch dann schied Deutschland als amtierender Weltmeister in der Vorrunde aus. Wer hat’s vermasselt? Der Volkszorn hatte den Schuldigen schnell ausfindig gemacht.
Der Haß auf Özil und Erdoğan, den selbst die schöne Fußball-Weltmeisterschaft in Russland nicht aufhalten konnte, bricht sich wieder Bahn. Auslöser der neuen Haß-Welle ist diesmal das private Glück zweier Verlobter.
Mesut Özil und Amine Gülşe sind seit 2017 verlobt. „Bild am Sonntag“ (BamS) vom 17.03.2019 räumt seine ganze Titelseite für die Schlagzeile „Özil will Erdoğan als Trauzeugen. Erst schockte Mesut Özil Deutschland mit einem Foto zusammen mit dem türkischen Präsidenten, nun hat er Erdogan persönlich zu seiner Hochzeit eingeladen.“
„Diese Hochzeit ist politisch.“ setzt BamS seinen Bericht auf Seite 6 fort. Die Sonntagszeitung macht aus einem privaten Glück einen „PR-Coup für den türkischen Präsidenten“ (Seite 6 der Ausgabe vom 17.03.2019). Und berichtet auf drei Seiten (ja es sind wirklich drei Seiten) über die Skandal-Hochzeit des Jahres: „Der Autokrat als Trauzeuge des ehemaligen deutschen Nationalspielers .. das nächste Kapitel in der Affäre Erdoğan/Özil!“ Ja, das Ausrufezeichen benutzen sie da bei der BILD-Zeitung wirklich gern und ausgiebig, wenn es um die beiden geht. Am liebsten in Verbindung mit „Affäre“. Darunter machen es viele deutsche Medien nicht, mehr wenn es um „Erdoğan/Özil!“ geht. Wenn schon keine Staatsaffäre verfügbar ist, wie bei Christian Wulff, dann macht man sich seine Erdoğan/Özil-Affäre.
Die „taz“ in Berlin veröffentlicht am 17.03.19 einen Artikel zur Hochzeit mit der Überschrift: „Özil kuschelt mit Erdoğan“. Özil heiratet seine Amine Gülşe, nicht seinen Präsidenten Erdoğan. Wo ist hier der Skandal? Die „taz“ erklärt uns den neuesten Skandal der Affäre: „Er hat es wieder getan: Mesut Özil hat sich mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan getroffen.“ Er! hat! es! wieder! getan! Oh nein, ein Wiederholungstäter. Das wirkt sich richtig schlecht aus auf die Sozialprognose. „Mesut Özil für seine Autokratenschmuserei zu kritisieren sollte sich für jeden Demokraten ziemen“, fordert die „taz“ vom Volk! Was ist des Bundesbürgers erste Pflicht? Özil zu kritisieren.
Die „Berliner Morgenpost“ druckt am 18.03. eine fette Schlagzeile über Özil: „Der Fall eines Vorbilds.
Natürlich darf auch der Abgeordnete Cem Özdemir, im Nebenberuf „Erdoğan-Kritiker“, den Trauzeugen in der „BILD“-Zeitung kritisieren: „Ehemalige … Nationalspieler haben eine Vorbildfunktion und müssen sich fragen, ob sie dieser gerecht werden, wenn sie sich für Autokraten hergeben, die sich auf Kosten ihres Landes bereichern und Andersdenkende in Kerkern verschwinden lassen.“
„Die Welt“ schreibt am 18.03. auf Seite 3 unter der Überschrift „Özils Outing“: „Er hat sich damit als Freund und Bewunderer des türkischen Despoten geoutet.“
Die „BILD“ schreibt am 18.03. unter der Überschrift „Özil hat nichts verstanden!“(auf das Ausrufezeichen wurde stillsicher geachtet) auf Seite 2: Özil „zeigt sein wahres Gesicht jetzt darin, daß Diktator Erdoğan laut türkischen Medien sogar Özils Trauzeuge werden soll.“
Und die „Frankfurter Rundschau“ berichtet am 18.03. unter der Schlagzeile „Hochzeit mit Erdoğan“: „Als Mesut Özil Mitte Mai 2018 beim türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan in einem Londoner Hotel weilte, hätte man bei naiver Betrachtungsweise zunächst meinen können, bei dem Treffen mitsamt Übergabe eines signierten Arsenaltrikots habe es sich um eine übliche Privataudienz gehandelt.“
„Despot“, „Diktator“, „Autokrat“: das sind die Lieblings-Vokabeln deutscher Medien, die in keinem Bericht zur „Affäre Erdoğan/Özil!“ fehlen dürfen. Und bitte nie ohne Ausrufezeichen verwenden.
Auch wenn Sie mir das jetzt nicht glauben mögen, aber es gibt in Deutschland noch Medien, die selbst das Niveau der BILD-Zeitung unterbieten können.
Den Auftakt machte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am 17.03. mit einem Hinweis an alle Redaktionen des Landes: „Achtung – dpa recherchiert zu den Berichten, wonach Ex-Nationalspieler Mesut Özil den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu seiner Hochzeit eingeladen haben soll!“ Die Jagd nach der schmutzigsten Schlagzeile ist eröffnet.
Die „Allgemeine Zeitung“ in Mainz gibt sich Mühe, das dreckige Spiel zu gewinnen: „Integration bedeutet …, sich an die Spielregeln zu halten, die in Deutschland gelten. Wer einen Machthaber wie Erdoğan unterstützt, missachtet diese Regeln. Dies muss man klar sagen.“
Die „Volksstimme“ in Magdeburg fragt, ob ein früherer deutscher Nationalspieler einen „Autokraten“, der es mit den Menschenrechten in der Türkei nicht so genau nimmt, zu seiner Hochzeit einladen dürfe? Das wird wird ja wohl noch fragen dürfen!
Und schließlich will auch die „Volksstimme“ einfach nur irgendwann einmal beim „Autokraten“-Bingo gegen die „BILD“-Zeitung gewinnen.
„Schiefgelaufen“ kommentiert der „Wiesbadener Kurier“ die Hochzeits-„Affäre!“. Was war noch mal „schiefgelaufen“? Der Wochenddienst in der Redaktion? Nein, natürlich nicht, sondern die gescheiterte Integration des „Diktatoren“-Fanboy.
Und wer einen „Diktator“ anhimmle wie Özil, der habe auch sein Recht verwirkt auf die deutsche Staatsbürgerschaft, so die vermeintliche Logik einiger Medien. Wen wundert es da noch, das die „Ausbürgerung“ für Özil als Strafe für seine Hochzeitseinladung gefordert wird.
Ist das schon alles? Nein, es kommt noch schlimmer: „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach BamS-Informationen bisher keine Hochzeitseinladung bekommen“, berichtet BILD in seiner Sonntags-Ausgabe. Das ist ja wohl die Höhe! Eine Hochzeit ohne Steinmeier! Wo kommen wir denn da hin?