Protokoll: Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Xavier Bettel, Premierminister von Luxemburg

Published On: 1. März 2022

BK Scholz: Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr über den Besuch von Xavier Bettel heute in Berlin. So hatten wir Gelegenheit zu einem sehr, sehr ausführlichen Gespräch über all die Fragen, die uns gegenwärtig bewegen.

Für Deutschland und Luxemburg ist das wichtig. Wir sind kulturell, politisch und wirtschaftlich sehr, sehr eng verbunden, und in der Europäischen Union sind wir enge Partner ‑ nicht nur allgemein, sondern oft auch in ganz konkreten Politiken, über die wir miteinander sprechen. Das hat sich heute auch wieder bestätigt in unserem Gespräch, in dem wir uns über bilaterale, europapolitische und internationale Themen unterhalten haben.

Im Zentrum standen dabei natürlich der russische Angriff auf die Ukraine und die Konsequenzen aus diesem eklatanten Bruch des Völkerrechts. Wir sind uns einig: Das ist eine Zeitenwende für Europa und für die westliche Welt insgesamt.

Darauf haben wir eine entschlossene, gemeinsame Antwort gegeben. Gemeinsam als Europäische Union und mit internationalen Partnern haben wir schärfste Sanktionen beschlossen. Gemeinsam haben wir Russland von internationalen Finanzmärkten isoliert und Banken vom SWIFT-System abgekoppelt. Wir haben die Möglichkeiten der russischen Zentralbank massiv eingeschränkt. Und wir haben Putin und sein engstes Umfeld mit harten Sanktionen belegt.

All das zeigt: Wir stehen fest an der Seite der Ukraine und werden sie weiter unterstützen, sich gegen diesen ungerechtfertigten Überfall zu verteidigen. Deutschland hat sich entschlossen, auch mit militärischen Gütern Unterstützung zu leisten, damit sich die Ukraine verteidigen kann. Auch humanitäre Hilfe, Schutzmaterial und Sanitätsgüter stellen wir dem Land weiter intensiv zur Verfügung.

Zugleich stehen wir fest zu unseren Verpflichtungen in der NATO. Unsere östlichen Bündnispartner können sich auf unseren Willen und unsere Entschlossenheit zur Bündnissolidarität und zum Schutz des Bündnisgebietes verlassen.

Ich will deshalb die Gelegenheit nicht versäumen, zusammen mit meinem Kollegen den russischen Staatspräsidenten aufzufordern, unverzüglich alle Kampfhandlungen einzustellen, die russischen Truppen nach Russland abzuziehen und zum Dialog zurückzukehren. Das Blutvergießen muss ein Ende haben. Wladimir Putin vergeht sich am ukrainischen Volk.

Die Folgen aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine werden uns auch beim informellen Europäischen Rat in Versailles nächste Woche beschäftigen, da bin ich mir mit Xaver Bettel völlig einig.

Darüber hinaus werden wir uns aber auch mit einer Reihe wichtiger Fragen zu Investitionen als Voraussetzung für die erfolgreiche grüne Transformation und die Wettbewerbsfähigkeit Europas in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen, insbesondere auch, wie wir diese Investitionen privatwirtschaftlich motivieren können. Die Unabhängigkeit von Energie-Importen muss dringend erhöht werden, und da bieten die erneuerbaren Energien eine ganz, ganz große Chance. Dass Deutschland ‑ das darf ich für uns sagen ‑ sich vorgenommen hat, ab 2045 CO₂-neutral zu wirtschaften, ist jetzt auch strategisch und industriepolitisch die richtige Entscheidung, die uns in die richtige Zukunft führt. Wir werden unabhängig und weniger erpressbar, als wir es heute sind. Wir müssen jetzt alle Entscheidungen treffen, damit wir die Zeit dazwischen auch gut bestehen können.

Natürlich gibt es viele andere Fragen, die uns in unserem Gespräch bewegt haben: die Frage, wie wir gerade die klimapolitische Agenda der Kommission voranbringen können, das „Fit-for-55“-Paket, das unterstützt werden muss. Wir reden über die Frage der Herausforderungen, die sich aus den Themen der Migration ergeben, und darüber, wie wir die Rechtsstaatlichkeitsfragen, die in Europa diskutiert werden, voranbringen können.

Für uns alle ist Europa aber eine Union, in der wir zusammen sind, weil wir gemeinsame Vorstellungen haben von Demokratie und Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit, von individuellen Rechten und natürlich auch von den Möglichkeiten, die sich aus der Freizügigkeit des Schengen-Raums ergeben. Deshalb sind wir froh, dass unsere bilateralen Beziehungen auch in Zukunft gut funktionieren werden, und wir werden unsere enge Abstimmung in europäischen und Sicherheitsfragen fortführen.

PM Bettel: Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, ich bin sehr dankbar, dass ich heute in Berlin sowohl Sie als Bundeskanzler als auch den kürzlich wiedergewählten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier treffen konnte, und dies trotz der dramatischen Lage in der Ukraine. Besonders in internationalen Krisenzeiten ist eine enge Zusammenarbeit mit unseren Freunden, mit unseren Alliierten und Partnern, von oberster Priorität.

Seit langen Jahren pflegen unsere Länder eine enge und eine freundschaftliche Beziehung, und ich bin überzeugt, dass wir die gute Zusammenarbeit mit Ihrer Regierung in den kommenden Monaten und Jahren weiter stärken werden. Unsere nachbarschaftlichen Beziehungen haben Modellcharakter, auch in der EU. Auch die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Pandemie hat nach anfänglichen Schwierigkeiten gut funktioniert.

Beim Thema der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit geht unser Blick in diesen Tagen unweigerlich auch nach Osteuropa, wo die Ukraine von ihrem russischen Nachbarn überfallen wurde. Herr Bundeskanzler, ich stimme dem, was Sie in Betreff der Ukraine vor dem Bundestag gesagt haben, völlig zu. Putins Krieg gegen die Ukraine ist eine Zäsur. Wir erleben einen Krieg, wie ihn unsere Generation noch nicht erlebt hat, einen Krieg gegen die Freiheit, gegen die Werte, für die wir stehen. Es ist eine Zeitenwende. Die koordinierten Sanktionen sind massiv und wirken. Die Ukraine ist bewaffnet und wehrt sich tapfer. Die Einigkeit und Entschlossenheit der NATO und der EU sind nicht zu unterschätzen.

Wie Sie bereits angekündigt haben, wird Deutschland deutlich mehr in Sicherheit und Verteidigung investieren. Auch Luxemburg ist bereit, seine Zusammenarbeit mit Deutschland im Bereich von Verteidigung und Fähigkeiten weiter zu verstärken. Luxemburg hat neben der Schließung seines Luftraums für russische Fluggesellschaften auch militärische Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine angekündigt. Außerdem wurde humanitäre Hilfe in Höhe von einer Million Euro beschlossen, die über die Partner UNHCR und Rotes Kreuz bereitgestellt wird.

Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, ich danke Ihnen auch für die großen diplomatischen Bemühungen, die Sie im Vorfeld unternommen haben, um diesen Krieg abzuwenden. Es war die alleinige Entscheidung Putins, einen Angriffskrieg gegen die demokratische und unabhängige Ukraine zu starten. Unsere Sanktionen sind richtig und wichtig. Sie treffen Russland hart und werden ihre Wirkung nicht verfehlen. Nichtsdestoweniger werden wir weiterhin auch unsere diplomatischen Bemühungen fortführen. Ich habe großes Vertrauen in Deutschland und Frankreich als Partner im Herzen Europas, um den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten. Es ist kein einfacher Dialog. Aber wir müssen es fertigbringen, eine Waffenruhe zu erreichen. Ohne miteinander zu reden, wird dies unmöglich sein.

Die aktuelle Situation in der Ukraine unterstreicht nochmals die Bedeutung von Solidarität. Im Falle eines Krieges muss mit starken Fluchtbewegungen gerechnet werden. Wir werden die Nachbarländer der Ukraine bestmöglich unterstützen und bereiten uns auch national auf die mögliche Ankunft einer höheren Anzahl Flüchtlinge aus der Ukraine vor.

Abschließend gehen meine Gedanken zu den Menschen in der Ukraine. Ihr seid nicht vergessen! Ihr seid nicht allein! Wir werden alles daran setzen, damit dieser bewaffnete Konflikt so schnell wie möglich gelöst wird und die Ukraine wieder zu Frieden und Stabilität zurückfinden kann. Man darf nie vergessen, dass die Ukrainer heute, jeden Tag, sterben, auseinandergerissen werden, verwundet werden und überhaupt nichts dafür können. Es ist unsere verdammte Pflicht, auch für sie geradezustehen.

Frage: Herr Scholz, wie schätzen Sie angesichts der aktuellen Eskalation in der Ukraine die Wirksamkeit der Sanktionen ein? Was haben Sie noch in der Hinterhand, um das zu stoppen?

BK Scholz: Zunächst einmal haben wir im Vorfeld alles unternommen, was möglich ist, um Putin von seinem Kriegskurs abzubringen. Sie wissen, dass ich stundenlang mit ihm persönlich gesprochen und hinterher auch noch einmal mit ihm telefoniert habe, bevor es dazu kam, dass er seine Erklärung zum Einmarsch in die Ukraine abgab. Der französische Präsident hat das Gleiche getan, und wir versuchen auch ständig, die Gesprächskanäle weiter zu nutzen.

Aber die Wahrheit ist: Die Entscheidung ist längst gefallen. ‑ Ich finde, dass wir uns sehr klar machen müssen, dass das wahrscheinlich schon vor sehr langer Zeit der Fall war. Denn wenn man die schriftlichen Bekundungen des russischen Präsidenten liest ‑ sie sind schon länger her ‑, dann sieht man, dass darin alles steht, was jetzt geschieht. Das müssen wir schon sehr ernst nehmen. Deshalb ist das eine bedrohliche Situation für das Volk, für die Bürgerinnen und Bürger und die Demokratie in der Ukraine.

Wir haben angekündigt, dass wir, wenn das passiert, mit harten Sanktionen reagieren werden, und das tun wir. Das haben wir bei der Anerkennung der sogenannten unabhängigen Volksrepubliken getan, und das haben wir getan, als es dann tatsächlich zu dem vollständigen Krieg gegen die Ukraine mit all den aufgestellten Truppen gekommen ist. Wir werden den Paketen, die wir bisher beschlossen haben und die jetzt ja zum Teil erst umgesetzt werden, sicherlich noch weitere hinzufügen. Man sieht schon jetzt, welche Folgen das hat. Die Börsenkurse in Russland sind eingebrochen. Man sieht, dass das die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes erheblich beeinträchtigt. Das muss auch die klare Botschaft sein. Wir haben die besten Chancen in der Welt, miteinander eine gute Zukunft zu erreichen. Aber dass wir einander militärisch nicht überfallen, das ist die Voraussetzung dafür. Auf diesem Prinzip müssen wir bestehen.

Frage: Herr Bundeskanzler, der ukrainische Präsident hat den EU-Beitritt seines Landes beantragt. Wie stehen Sie persönlich dazu? Wie sollte die EU Ihrer Meinung nach darauf reagieren?

Dann würde mich interessieren, für wie besorgniserregend Sie es halten, dass Präsident Putin seine Atomwaffen in Alarmbereitschaft versetzt hat. Sollte es darauf eine Reaktion der NATO geben?

Herr Premierminister, an Sie die Frage: Deutschland hat am Wochenende eine Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und dem Versprechen vollzogen, das Zwei-Prozent-Ziel nun Jahr für Jahr zu übertreffen. Wie empfinden Sie es, dass Deutschland nach Jahrzehnten der Zurückhaltung jetzt bei der Bündnisverteidigung voranmarschiert? Kann das eine Vorbildfunktion für andere Länder in der EU haben, die ja auch noch nicht das Zwei-Prozent-Ziel erreichen?

BK Scholz: Ich glaube, wir sind jetzt in einer sehr dramatischen Situation angekommen. Die Ukraine kämpft buchstäblich um das Überleben. Die Truppenbewegungen, die wir heute von den russischen militärischen Kräften gemeldet bekommen haben, sind sehr umfassend. Deshalb dürfen wir uns nichts vormachen: Das wird jetzt noch eine ganz, ganz dramatische Zeit werden. Die Bilder mit den vielen Toten und Verletzten, die wir bisher beklagen mussten und über die wir bedrückt sind, die Bilder von zerstörten Gebäuden und zerstörten Infrastrukturen werden nur ein Anfang von dem sein, was wahrscheinlich noch kommt.

Deshalb ist aus meiner Sicht die Aufgabe, die wir für die nächste Zeit haben, dass wir uns darauf konzentrieren, jetzt zu verhindern, dass das so weitergeht. Das ist die Sache, die im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen muss, wenn wir uns um die Frage kümmern: Was ist jetzt zu tun? Aus meiner Sicht ist das das, was wir machen müssen.

PM Bettel: Die Frage, die an mich gerichtet war, bezog sich auf die Rede, die der Herr Bundeskanzler am Sonntag im Parlament gehalten hat. Ja, es ist schon eine Umstellung. Man braucht auch politische Courage, um zu sagen: Ja, bis jetzt war es so. Aber mit dieser Situation müssen wir anders agieren.

Ich habe es vorhin schon gesagt: Wir haben mit Deutschland einen Partner, mit dem wir in Zukunft zum Beispiel militärisch enger zusammenarbeiten können. Unsere Ziele erhöhen sich Jahr für Jahr und sind noch ein Stück von zwei Prozent entfernt. Aber das steigt und steigt. Man muss auch die Größe der luxemburgischen Armee betrachten: Die luxemburgische Armee umfasst 1000 Soldaten.

Wir müssen auch sehen, wie wir dort Geld investieren können, wo es gebraucht wird. Ich bin sehr froh, dass zum Beispiel ein Flugzeug, das wir zusammen mit der belgischen Armee gekauft haben, jetzt für die Ukraine gebraucht wird. Ich bin sehr froh, dass zum Beispiel ein Militärsatellit, der für Kommunikation genutzt werden kann, ermöglicht, dass in der Ukraine jetzt nicht die ganze Telekommunikation zusammenbricht. Das heißt, das sind für mich Investitionen, die auch wichtig sind. Wir suchen die Partnerschaft mit unseren Kollegen.

Gestern haben wir im Regierungsrat beschlossen, zum Beispiel militärisches Material in die Ukraine zu schicken. Das ist für uns auch etwas ganz Neues. Das haben wir vorher noch nicht gemacht. Aber wir sind jetzt in einer Situation, in der wir aufpassen müssen ‑ das war auch die erste Frage Ihrer Kollegen ‑, dass wir nicht in einen Weltkrieg geraten. Das ist auch ein Stück die Frage, die Sie gestellt haben. Auch wenn wir nicht an die Ukraine grenzen und die Ukraine weit weg von Luxemburg ist, machen sich die Leute Sorgen. Wir sollten diese Sorgen ernst nehmen. Deswegen sind diese ganzen Mühen, die sich Bundeskanzler Scholz und auch Präsident Macron geben, um zu versuchen, dass es zu einer Deeskalation kommt, unbezahlbar und von einer Wichtigkeit, die sich keiner vorstellen kann. Unsere Bürger in Luxemburg ‑ ich glaube, nicht nur in Luxemburg ‑ machen sich Sorgen, was morgen passiert.

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