Am Lebensende im Stich gelassen
Adelheid von Stösser über »Pflegehaftbedingungen» und zum Recht auf Berührung und Privatsphäre in Heimen.
Von Stösser kämpft für die Rechte Pflege- und Hilfsbedürftiger. Sie machte 1970 eine Ausbildung zur Krankenpflegerin und ist seit 50 Jahren in der Pflege und für die Pflege in Deutschland aktiv. Mit dem «Pflegeethik Initiative Deutschland e. V.», den sie seit 15 Jahren leitet, engagiert sie sich dafür, daß ethische Gesichtspunkte in der Pflegepolitik und -praxis Berücksichtigung finden.
In der September-Ausgabe der Zeitschrift mit dem Titel «Praxis PalliativeCare» wird ein Beitrag mit dem Titel «Am Lebensende im Stich gelassen» von Adelheid von Stösser mit weiteren Beispielen erscheinen.
Martin Lejeune: Ist das, was die Angehörige in der Sprachnachricht in dem obig verlinkten Video schildert, die neue Realität in den Pflegeheimen?
Von Stösser: Leider sieht in vielen – vielleicht sogar in den meisten Heimen – die »Lockerung der Pflegehaftbedingungen» so aus, das eine Berührung des Angehörigen nicht erlaubt ist.
Weder bei Sterbenden, noch um – wie in diesem Falle der eigenen Mutter- einen Schluck Wasser anzureichen.
Wer sich überhaupt eine solche Regelung ausgedacht hat, hat entweder noch nie jemanden gepflegt oder er sieht in Pflegeheimbewohnern keine Menschen – sondern Pflegeobjekte, über die andere – nach Belieben – bestimmen dürfen.
Martin Lejeune: Wieso müssen Angehörige überhaupt Abstand halten und Mundschutz tragen, wenn sie die eigene Mutter im Zimmer der Mutter, also in deren Privaträumen besuchen?
Von Stösser: Es ist interessant, dass Sie hier Fragen stellen, die von den Verantwortlichen für das betreffende Heim offenbar nicht gestellt wurden. Aber auch die Politik und das RKI sind nicht unbeteiligt an dieser Unmenschlichkeit.
In allen Corona-Landesverordnungen wurden zwar die Besuchsverbote aufgehoben, aber nicht die Abstandsgebote. Angenommen, in einem Heim würde jetzt wieder Corona ausbrechen, und irgendwelche Angehörigen würden dem Gesundheitsamt melden, daß dort nicht auf die Einhaltung geachtet wurde- drohen dem heim Konsequenzen.
Was mich erschüttert, ist, dass die Verantwortlichen und Pflegekräfte in den Heimen solche Regelungen widerspruchslos akzeptieren. Damit schaden sie sich – und ihrem Ruf – im Grunde doch selbst. Wo bleibt hier das eigene Gewissen und die Eigenverantwortung?
Niemand sollte und muss sich Regeln aufzwingen lassen, die er für unethisch und unmenschlich hält. Ich bin fassungslos, wenn ich höre, wie Pflegekräfte sich gerade feiern lassen, als die Helden der Nation, aber nicht einmal den Mumm haben, einer erwachsenen Tochter zu erlauben, der schwerkranken Mutter etwas zu trinken zu geben.
Es gibt zum Glück andere Beispiele. Mir haben auch Angehörige berichtet, dass ihnen erklärt wurde: „Was sie im Zimmer ihres Mannes oder ihrer Mutter machen, geht mich nichts an. Das ist Privatsache!“
Genau das ist es und sollte es sein und bleiben. Privatsache – Privatbereich – Privatsphäre. Darauf haben auch Heimbewohner ein Recht. Für das Zimmer im Pflegeheim zahlt der Bewohner schließlich Miete. Demzufolge kann er hier bestimmen und niemand sonst.
Martin Lejeune: Das habe ich bisher auch gedacht. Erwachsenen Menschen, egal wo sie Leben, das Recht auf Privatheit abzusprechen und ihnen solche Vorschriften zu machen, das geht doch nicht. Wie ist denn hier die rechtliche Lage?
Von Stösser: Auch Pflegebedürftige, die krankheitsbedingt selbst nicht mehr ihr Recht einfordern können, behalten das Recht auf den Schutz ihrer Privatsphäre und des Kontaktes zu ihren nächsten Angehörigen.
Ich zitiere Artikel 3 der Pflegecharta: «Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wahrung und Schutz seiner Privat- und Intimsphäre.»
Deshalb habe ich der Tochter geraten, die Heimleitung darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift gegen geltendes Recht verstößt. Im Grunde kann die Tochter, da sie außerdem noch Bevollmächtigte ist, also von der Mutter autorisiert wurde, in ihrem Namen Entscheidungen zu treffen – dem Personal verbieten das Zimmer der Mutter während ihres Besuches zu betreten. Und was sie dann in dem Zimmer macht, ist Privatsache.
Die Vorschriften von Landesverordnungen enden an der Haustür. Im Heim ist das die Zimmertür.
Derartige Verordnungen sind außerdem nicht durch das Infektionsschutzgesetz zu rechtfertigen.
Denn:
1. liegt gegenwärtig keine nachgewiesene Infektion mit dem Corona-Virus vor.
2. liegt nicht einmal ein hinreichender Verdacht vor.
3. sind die Fallzahlen seit langem derart gering, dass allenfalls eine theoretische Gefahr besteht. Die Gefahr beim Spaziergang durch den Park von einem Ast erschlagen zu werden, dürfte statistisch gesehen höher sein.
Bei den Corona-Landesverordnungen, wie auch den Heimverordnungen handelt es sich um Vorschriften die juristisch höchst angreifbar sind. Darum rate ich Angehörigen, den Schutz der Privatsphäre und das Recht auf ungehinderten, unkontrollierten Kontakt notfalls rechtlich einzuklagen.
Martin Lejeune: Mich hat der Umgang mit den Alten und Kranken in der Corona-Zeit auch sehr beschäftigt. Und ich finde, dass kann man nicht so stehen lassen. Ich bin zwar persönlich nicht direkt betroffen, es beschäftigt mich jedoch so sehr, dass ich das Bedürfnis habe, irgend etwas zu tun. Darum bin auch auf Sie zugekommen, als sich Sie bei der 2. Sitzung der Stiftung Corona-Ausschuss gesehen habe.
Von Stösser: Ich kann mich hier nur wiederholen: Mit den Besuchsbeschränkungen und der Distanzanordnung zwischen Bewohnern und Angehörigen, ist man aus meiner Sicht eindeutig zu weit gegangen.
Die Alten, Schwachen und Kranken, wurden nicht gefragt ob sie diesen Schutz wollen.
Er wurde ihnen aufgezwungen. Sie mussten es erleiden und ihre Angehörigen ebenfalls. Viele, die hier anriefen, sprachen von «seelischer Grausamkeit» und davon «wie kann man das hilflosen, kranken Menschen so etwas antun?».
Martin Lejeune: Die Heime wurden doch aber überall, nicht nur in Deutschland, geschlossen. Sogar in Schweden durften Angehörige nicht rein. Jetzt hört und liest man überall, das im Falle eines neuen Corona-ausbruchs, nur die besonders gefährdeten Alten und Kranken geschützt werden und ein allgemeiner Lockdown vermieden werden soll. Wie sollte man denn Ihrer Meinung vorgehen?
Von Stösser: Krankenhäuser und Pflegeheime waren immer schon Orte mit dem höchsten Gefahrenpotential für Ansteckungen. In Deutschland infizieren sich jedes Jahr rund 200.000 Patienten mit sog. Krankenhauskeimen. Mehr als 20.000 sterben daran.
Bis vor einiger Zeit wurden diese Patienten noch isoliert. Ein Patient mit MRSA durfte sein Zimmer nicht verlassen. Aber Angehörige durften – mit Schutzkleidung – immer rein.
Das galt bisher auch für alle anderen meldepflichtigen Infektionskrankheiten, die jährlich in Wellen oder Regional auftreten. Gesundheitsämter und Einrichtungen setzten auf Aufklärung und weniger auf Kontrolle oder gar Bestrafung. —- In schätzungsweise 99 Prozent der Fälle erschien dies auch ausreichend. Angehörige, die keine Einsicht zeigen wurden ermahnt und schlimmstenfalls mit gar Besuchsverbot oder Hausverbot belangt.
Auch bei Corona wäre es m.E. vollkommen ausreichend gewesen, Patienten, Heimbewohner und ihre Angehörigen darüber aufzuklären, wie sie sich und andere vor Infektion schützen können. Die meisten sind doch eher übervorsichtig. Wer Angst vor Ansteckung hat, bleibt freiwillig zu Hause, hält freiwillig Abstand und zieht freiwillig eine Maske auf.
Martin Lejeune: Wir sprechen hier von erwachsenen Menschen, von unseren alten Großelter oder Eltern, die nicht zuletzt deshalb so alt geworden sind, weil sie und ihr Körper mit allen möglichen Gefahren umzugehen gelernt haben.
Von Stösser: So ist es! Wer ein hohes Alter erreicht, ohne an chronischen Krankheiten zu leiden, der wird auch mit Covid-19 fertig, wie wir von vielen Fällen wissen. – Sogar eine 103 Jährige hat die Infektion ohne nennenswerte Symptomen überstanden. – Wer an chronischen Krankheiten leidet, muss dagegen mit einem höheren Infektionsrisiko zu leben lernen.
Martin Lejeune: Wir alle müssen doch mit der Gewissheit leben, dass wir an irgend etwas sterben werden.
Von Stösser: Ja. Da führt kein Weg daran vorbei. Früher oder später wird für jeden von uns der Zeitpunkt kommen Abschied von diesem Leben und seinen Lieben zu nehmen.
Wer das Ende seines Lebens in einem Pflegeheim verbringt, für den ist dort Endstation. Täglich sterben in Deutschland rund 900 Menschen in Pflegeheimen. Sie sterben an ihren Krankheiten, an Altersschwäche, an falschen Medikamenten, an Mangelernährung, an nicht aufgeklärten Gewaltdelikten, an gebrochenem Herzen, an Lungenembolie, Lungenentzündung, Multiorganversagen, einem erneuten Schlaganfall oder Herzinfakt etc.
Manche sterben unerwartet plötzlich, andere siechen über Monate und Jahre dahin. Aber alle sind am Ende des Lebens angekommen und hoffen vielleicht noch darauf, die kurze Zeit die ihnen noch bleibt, ohne Angst, ohne Schmerzen und in der Gesellschaft mit den Menschen verbringen zu können, die ihnen nahe stehen und wichtig sind.
Martin Lejeune: Auch von daher ist es ein Unding, pflegebedürftige alte Menschen vor dem Tod bewahren zu wollen, indem man ihnen den Kontakt zu den wichtigsten Menschen verwehrt.
Aus meiner Sicht haben die Besuchsverbote und andere überzogene Schutzmaßnahmen in den Heimen die hohe Sterberate während der Corona-Welle eher begünstigt als verhindert.
Mehr als die Hälfte der sog. Corona-Toten lebten in Heimen.
Wie das pathologische Institut in Hamburg – Professor Püschel – festgestellt hat – starb kein einziger von den 100 dort obduzierten sog. Corona-Toten – an Corona.
Martin Lejeune: Das verstehe ich auch nicht, wie man diese Obduktionsergebnisse einfach ignoriert und alle Verstorbenen mit einem positiven Corona-Test als Corona-Toten hinstellen kann. Ich verstehe auch nicht, wie der Staat – ohne eine tatsächlich vorhandene Gefahr, einfach nur weil einzelne Virologen eine zweite Welle befürchten, immer noch meint Patienten im Krankenhaus und Heimbewohner auf Abstand zu ihren Angehörigen halten zu müssen. Wo sehen Sie denn da einen Ansatz um diesen Unsinn zu beenden?
Von Stösser: Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung! Aber vermutlich auch der Schwerste. Denn der durch die Infektionsschutzmaßnahmen angerichtete Schaden ist enorm. Deshalb redet oder testet man aktuell geradezu eine zweite Welle herbei. Jeder Positiv getestete wird als Infizierter in der Zeitung präsentiert, auch wenn er keine Symptome hat und möglicherweise falsch positiv getestet ist. Es ist also noch kein Ende abzusehen.
Bezogen auf die Heimbewohner und Angehörigen sehe ich folgende Ansatzpunkte:
Besucher und rechtliche Vertreter treten selbstbewusst auf und fordern das Recht des Bewohners auf Privatsphäre und Berührung ein. Notfalls auch über den Klageweg.
Heimbetreiber und Personal handeln menschlich und nach ihrem Gewissen. Sie gehen das Risiko einer Auseinandersetzung mit den Behörden ein.
Die Schäden die durch die Schutzmaßnahmen verursacht wurden, müssen benannt und aufgearbeitet werden. Gegenüber Pflegebetroffenen hat es massive Rechtsverletzungen gegeben, die behandelt werden müssen, damit sich Gleiches nicht wiederholen kann.
Es braucht ein ganzheitliches Verständnis von Hygiene. Hygienemaßnahmen die sich nur auf das Fernhalten eines Virus konzentrieren und dabei Maßnahmen verordnen, die die Widerstandskräfte und das Immunsystem schwächen, wie wir das jetzt bei dem Kampf gegen Covid-19 in Extremform erleben, gefährden das Leben. Schon Louis Pasteur hat geschrieben: «DER ERREGER IST NICHTS, DAS TERRAIN IST ALLES.»
Das heißt – je gesünder das Umfeld, desto geringer die Gefahr durch Viren oder andere Erreger – krank zu werden.
Stress, Angst und Einsamkeit machen krank und schwächen das Immunsystem.
Da Deutschland noch verhältnismäßig gesunde Lebensbedingungen hat, wurde die Corona-Welle hierzulande eher wie ein Husten erlebt. Kein einziger, zuvor gesunder Mensch ist meines Wissens daran verstorben.
Abschließend plädiere ich an alle die Einfluss nehmen können, die Verordnungen vollständig aufzuheben und die Angehörigen nicht länger zu bevormunden. Unmenschliche Corona-Verordnungen muss niemand hinnehmen!
Martin Lejeune: Vielen Dank für das Gespräch – und für Ihr Engagement!