«Der Riss ist schon sichtbar!»
In seiner ersten Regierungserklärung beanstandete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), daß so viel von der Spaltung der Gesellschaft die Rede sei. Scholz bekannte: «Dazu stelle ich fest: Unsere Gesellschaft ist nicht gespalten.»
Wie aber sieht es aus in den Kommunen im Osten des Landes, deren Bürger in die Auswirkungen der im fernen Berlin beschlossenen Bundespolitik kommen?
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) widerspricht seinem Genossen Scholz. Er stellt fest: Die Gesellschaft ist gespalten. Der «Sächsischen Zeitung» aus Dresden sagte Jung heute: «Eine solche Spaltung zu erleben, bestürzt mich. Die Risse gehen ja quer durch die Familien. In Sachsen sind wir davon besonders betroffen – wenn ich Bremen mit mehr als 80 Prozent Impfquote vergleiche mit dem Erzgebirge, wo nur rund halb so viele Menschen geimpft sind.»
Die niedrige Impfquote stellt die Kommunen im Erzgebirge bei der Umsetzung der Bundespolitik vor große Herausforderungen. Am 10. Dezember haben Bundestag und Bundesrat bereits eine Einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen. Und für den Februar nächsten Jahres avisiert die Bundesregierung die Einführung einer allgemeinen Impflicht. Eine 40-prozentige Impfquote wie im Erzgebirge macht es Behörden vor Ort nicht leicht, die gesetzlichen Vorgaben aus Berlin durchzusetzen.
Burkhard Jung über Versäumnisse der Bundespolitik
Jung macht das Kabinett der großen Koalition unter Dr. Angela Merkel mitverantwortlich für den schleppenden Verlauf der bundesweiten Impfkampagne. «Gegen alle dringenden Mahnungen der Kommunen wurden die Impfzentren geschlossen. Und der ehemalige Bundesgesundheitsminister Spahn sagt: Schau‘n wir mal. Das war kein Versäumnis der Landesregierung», teilt Jung Richtung Bundespolitik aus.
Für den neuen Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbacht hegt Jung hingegen viel Zuversicht: «Ich freue mich sehr, dass Karl Lauterbach das macht. Ein bisschen mehr Fachlichkeit wird uns guttun.»
Ohne Frage wartet auf Lauterbach eine große Aufgabe, deren erfolgreiche Bewältigung wesentlich zum Ansehen der Ampelkoalition beitragen wird. Jung sieht die Problematik in der bundesweit aufgeladenen Stimmung: «Wir erleben eine Politisierung des Impfens, durch die enormer Widerstand entfacht wird. Dieser wird besonders fruchtbar in den Gegenden aufgenommen, die in großer Skepsis zu unserem demokratischen Staat stehen. Der Kern des Problems liegt dabei in einem immensen Vertrauensverlust in die Regierung, ein Misstrauen gegenüber Forschung und Institutionen, wissenschaftlichen Fakten und politischem Handeln. Da sehe ich eine Verbindung zwischen AfD-Wählern und Impfgegnern. Wäre das Impfen eine rein medizinische Angelegenheit geblieben wie bei Tetanus, hätten wir vermutlich eine ganz andere Impfquote. Nun droht uns eine dauerhafte Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Der Riss ist schon sichtbar!»
Ob die SPD mit ihrem Spitzenpersonal Scholz, Lauterbach und Jung der Impfskepsis der AfD den Wind aus den Segeln wird nehmen können und dadurch die Impfquote vor allem auch in der Provinz wie dem Erzgebirge zu steigern, wird entscheidend davon abhängen, wie sehr es der Bundesregierung gelingt, die Bürger abzuholen und mit ins Boot zu nehmen. Je mehr Bundesbürger sich von der Bundespolitik nicht abgeholt und infolgedessen ausgegrenzt fühlen, umso mehr Zulauf wird die stärkste Oppositionskraft AfD verzeichnen können. Die neue Bundesregierung hat es in der Hand, dem Schub nach rechts Einhalt zu gebieten.
Hinweise zur Textquelle
Quelle aller Zitate von Oberbürgermeister Burkhard Jung:
Die «Sächsische Zeitung» in Dresden vom 20.12.2021 (Seite 8)
Hinweise zur Bildquelle
Name des Autors: Raimond Spekking
Link zur Quelle des Bildes: https://de.wikipedia.org/wiki/Burkhard_Jung#/media/Datei:Verleihung_Konrad-Adenauer-Preis_der_Stadt_Köln_2015_cropped_an_Vitali_Klitschko-7733_(cropped).jpg
Nennung der CC-Lizenz: CC BY-SA 4.0
Link zur Lizenzurkunde: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
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Titel des Werks: «Burkhard Jung (2015)»