Die neue Spaßgesellschaft
Seitdem der Bundestag und der Bundesrat die einrichtungsbezogene Coronaimpfpflicht für Beschäftigte in Pflegeheimen und Krankenhäusern beschlossen haben, gehen dagegen bundesweit immer mehr Menschen auf die Straßen.
Die Protestierer werden nicht zentral geführt und jede Woche mehr. Die Sicherheitsbehörden können meist nur recht kurzfristig auf das Versammlungsgeschehen reagieren, weil viele Protestdemonstrationen nicht mehr im voraus angemeldet werden und dezentral stattfinden.
Sind wir derzeit in derselben Situation wie unsere Eltern in den 68ern? Gibt es eine neue Lust an Demonstrationen, eine Sucht nach Freiheit? Kommt es erneut zu einem Flächenbrand in der Bundesrepublik?
Gestern Abend in Bielefeld: Partystimmung auf den Straßen und Plätzen der Stadt. Die Leute singen, rufen, tanzen und liegen sich in den Armen. Die Stimmung kocht, als ob Deutschland gerade Weltmeister geworden wäre.
Ein Busfahrer flippt total aus
Der Fahrer eines Linienbusses der Bielefelder Verkehrsbetriebe moBiel flippt total aus vor Begeisterung! Der Bus ist stecken geblieben in der Menschenmasse, die durch die Straßen zieht.
Der Busfahrer klatscht die an seiner Kabine vorbeiziehenden Leute ab: High five durch das heruntergelassene Fenster des Fahrersitzes ab. Der Busfahrer hupt unentwegt, die Leute johlen vor Begeisterung und klatschen.
Schließlich hält es den Busfahrer nicht mehr auf seinem Sitz. Er hüpft hoch, wirft seine Arme in die Höhe und bläst durch eine Trillerpfeife. Auf seinem Bus steht «Wir steuern richtig!»
Die neue Lust an der Demo
Die neue Lust an der Demo bricht sich Bahn, von Hamburg bis München über Bielefeld sind Menschen auf die Straßen gegangen und rufen sich begeistert einander zu: «Endlich mal was los hier!»
Allein in Bielfeld waren es in der Spitze 3.500 Menschen, die durch die Straßen zogen, sagt die Polizei. In München und Hamburg sollen jeweils um die Zehntausend auf den Straßen sein.
Die Lust darauf, kund zu tun, daß man mit dem, was «von denen da oben» entschieden wird, nicht zufrieden ist, wächst von Woche zu Woche. Man läuft mit, um zu zeigen, daß man «mit dem System» nicht einverstanden ist. Der Spaß an der Freiheit, die Suche nach dem Glück der Generation Lockdown macht nicht halt an Ausgangssperren und Bundesnotbremsen.
Selten hat man Münchner, Hamburger und Ostwesfalen so ausgelassen erlebt. Es ist das Volk, das auf der Straße steht. Es handelt sich um ganz normale Leute, um Tante Anna und Onkel Gustav. Bürger mit Freude am Leben. Sie singen Weihnachtslieder und zünden Kerzen an.
Polizei: «Ein bekannter Rechtsextremer unter 3.500 Leuten»
«Die Polizei konnte während des Einsatzes einen bekannten Rechtsextremen auf dem Kesselbrink identifizieren. Darüber hinaus liegen der Polizei bislang keine weiteren Erkenntnisse zu verfassungsfeindlichen oder rechtsextremen Teilnehmern vor», sagt die Polizei über die Menge, die sich gestern in Bielefeld auf der Straße versammelte.
Hedonismus wichtiger als Solidarität
Es sind die Kinder der 68er, die auf die Straße gehen. Sie haben eine freiheitliche Erziehung genossen und ein anderes Freiheitsverständnis entwickelt als jenes, das von den öffentlichen Vertretern derzeit eingefordert wird, um die Pandemie einzudämmen. Der neuen Spaßgesellschaft ist Hedonismus im Augenblick wichtiger als Solidarität.
Diese neue Freude an der Bekundung des Willens nach Freiheit wird den Menschen nicht so schnell wieder abhanden kommen. Es sind Leute auf der Straße, die nicht nur die Karriere oder den Verdienst im Auge haben, sondern eine andere Lebenseinstellung.
Der neuen Spaßgesellschaft geht es nicht ausschließlich darum, gegen die Coronapolitik des Bundes zu protestieren
Der neuen Spaßgesellschaft geht es nicht mehr ausschließlich darum, gegen einzelne Bundesmaßnahmen zu demonstrieren, welche die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat beschlossen haben, um die Coronapandemie einzudämmen, etwa mit Hilfe der Bundesimpfpflicht, der Bundesnotbremse oder des Bundeslockdowns.
Es geht ihr um einen Weg aus der Krise, um Ablenkung von sozialen Probleme und wirtschaftlichen Nöten. Die neue Spaßgesellschaft will die Lust am Leben – gleichwohl einer Inflation auf Rekordhoch und Angst vor der Zukunft. Die neue Spaßgesellschaft bricht sich Bahn trotz bedrückender Zeiten, vor denen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner ersten Regierungserklärung warnte und ungeachtet der Forderungen nach Strafen für Coronasünder (und im Gegenzug dafür Immunität für Falschparker), die der Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbacht zwitschert: «Ohne Kontrollen und Strafen verlieren wir den Kampf gegen 4. Welle. Jetzt ist nicht die Zeit, Parksünder zu stellen.». (Karl_Lauterbach/status/1466800124546400266)
Diese Lust zu leben, bringt die Menschen auf die Straße trotz ihrer schweren persönlichen Lage. Wenn es der neuen Spaßgesellschaft gelingt, die vielen Menschen zu mobilisieren, die sich noch damit zufrieden geben, zu Hause Netflix oder Disney zu schauen, dann könnte eine neue Bewegung entstehen und einen Flächenbrand auslösen.
Es ist auch die Gelegenheit, die Demos aus dem rechten Sumpf rausholen, ihnen einen neuen Anstrich, eine neue Linie zu geben. Klare Kante gegen Rechts! so lautet die Parole der neuen Spaßgesellschaft.
Tut mir leid, Martin Lejeune, aber der Artikel ein einen wirklich seltsamen Unterton.
Er wirkt irgendwie hintergründig verächtlich.
Es geht hier nicht um Spaß und gleich gar nicht um eine neue Spaßgesellschaft – und Sie wissen das!
Lassen Sie das Thema doch einfach gut sein und machen Sie weiterhin belanglose Interviews mit Polizeisprechern.
Danke. Genau das habe ich auch empfunden.
Ich denke es ist nicht die Spaẞgesellschaft. Es sind eher die gut Informierten. Diejenigen die sich mit Wirtschaft, Politik und Zukunft beschäftigen. Diejenigen denen klar ist daß Sie jetzt handeln müssen. Die Spaßgesellschaft ist längst geboostert und denkt sie kann weitermachen wie früher. Ich bin nur noch traurig.
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Herr Lejeune, Sie sind vom Paulus zum Saulus avanciert. Packen Sie ein und halten Sie den Mund. Sie haben ausgedient!!
Ich denke es ist nicht die Spaẞgesellschaft. Es sind eher die gut Informierten. Diejenigen die sich mit Wirtschaft, Politik und Zukunft beschäftigen. Diejenigen denen klar ist daß Sie jetzt handeln müssen. Die Spaßgesellschaft ist längst geboostert und denkt sie kann weitermachen wie früher. Ich bin nur noch traurig.
Ich muss auch sagen, dass ich in letzter Zeit von den Berichten von Martin Lejeune ziemlich enttäuscht bin. Und dieser Artikel hat wirklich einen seltsamen Unterton. Wie Anne gesagt hat, diese Bewegung hat nichts mit Spaßgesellschaft zu tun, es geht um unsere Freiheit und die Menschen, die auf die Straße gehen wissen genau warum sie das tun.
Am Anfang dachte ich mir, ok … wo führt der Inhalt hin. In der Mitte etwa musst ich lachen und war gespannt wo das hinführt. Der Schluss überraschen. Im Moment weiß ich nicht warum, aber es ist mir auch egal. Die Überraschung war angenehm. Vielen Danke dafür.
Sehe es wie Anne und Angelika. Liest man deine Artikel, so hat das überhaupt nichts mehr zu tun mit dem Martin, von dem man 2020 noch dachte, er verstünde, warum es eine Demokratie Bewegung gibt. Verzweifelte Menschen als „Spaßgesellschaft“ zu titulieren ist in diesem Sinne ein weiterer Schlag ins Gesicht.
Und das alles nur, weil du wegen des Ereignisses im vergangenen November enttäuscht bist. Glaube mir, ich auch. Aber deswegen bleibe ich dennoch ich selbst und projiziere meine Enttäuschung nicht gegen alles und jeden, der für seine Grundrechte und seine Freiheit auf die Straße muss.
Es stimmt also leider: du folgst nicht deinem Herzen, du findest dich leider nicht. Viel Glück, Martin. Von Herzen.