Reitschuster ./. Google
Az. 27 O 351/20
Boris Reitschuster ./. Google Ireland Limited, vertr. d. d. GF Elizabeth M. Cunningham und Nicholas Leeder
Widerspruchstermin am 11.03.2021 im Landgericht Berlin.
Es gilt eine strenge Maskenpflicht. Atteste werden nicht zugelassen, da sie nicht überprüft werden können.
Dr. Spiegel verteidigt die Antragsgegnerin Google Ireland Limited, Joachim Steinhöfel verteidigt den Antragsteller Reitschuster.
Richter Thiel:
Das Verfügungsverfahren sei unter zwei Gesichtspunkten zu prüfen:
Der Antragsteller sei eine GmbH, das reiche nicht aus, weil ein vertraglicher Anspruch nur am Wohnsitz geltend gemacht werden könne.
Antragsteller müsse glaubhaft machen, daß er unter einer bestimmten PLZ in Bln. gemeldet sei.
Reitschuster legt seinen Personalausweis vor, wonach er in 10585 Berlin gemeldet sei.
Steinhöfel bemängelt Angaben auf S. 10 der Widerspruchsschrift:
Antragsgegnerin behaupte, Antragsteller wolle Verfahren aus dem Verborgenen führen, das sei rechtsmissbräuliches Verhalten
Wenn Videos monetarisiert seien, bekomme man Geld
Voraussetzung für die Monetarisierung sei die Verknüpfung mit einem AdSense-Konto der Antragsgegnerin
Für das AdSense-Konto müsse der Antragsteller die Adresse bestätigen, daher habe die Antragsgegnerin die Anschrift des Antragstellers.
Steinhöfel bemängelt vorsätzlich irreführenden Sachvortrag der Antragsgegnerin
Richter Thiel:
Bei einer Auskunftssperre müsse man eine Anschrift angeben, an der man anzutreffen sei.
Richter Thiel zum Antragsteller:
Ist die GmbH eine Büroanschrift?
Antragsteller:
Ich bin da freiberuflich tätig und anzutreffen.
Die Antragsgegnerin bestreitet den Vortrag, daß der Antragsteller unter der angegebenen Anschrift regelmäßig anzutreffen sei, mit Nichtwissen.
Zur Sache der einstweiligen Verfügung
Richter Thiel: Der Verfügungsgrund bedarf einer besonderen Eilbedürftigkeit. Wir haben erhebliche Bedenken zum Verfügungsgrund.
Die Rechtssprechung war im September noch nicht so verfestigt, wie sie das heute ist.
Die Kammer hat heute Bedenken gegen das Vorliegen eines Verfügungsgrundes.
Es gebe zwar ein monetäres Interesse, der Antragsteller verdient seinen Lebensunterhalt maßgeblich durch Veröffentlichungen auf dem YT-Kanal.
Hier geht es nicht aber nicht um Sperrung des Kontos, sondern um Löschung eines Beitrags.
Wegen Löschung eines Beitrags ist der Lebensunterhalt nicht gefährdet.
Antragsteller verdient seinen Lebensunterhalt nicht ausschließlich durch diesen einen Beitrag.
BVerfG stellte fest: wenn ein Politiker im Wahlkampf eine unitäre Möglichkeit nutzt, Wahlkampf zu machen, darf ihm diese Möglichkeit nicht abgeschnitten werden.
Das Interview des Antragstellers ist zwar von zeitgeschichtlichem Interesse, aber nicht so dringend, daß man das nur jetzt veröffentlichen kann und nicht in einem Hauptverfahren klären lassen kann.
Thiel zum Antragsteller: Wir haben die Eilbedürftigkeit nicht dargelegt bekommen von Ihnen. Wir wollen daher den Beschluss vom September aufheben. Wir haben es im September noch anders gesehen. Aber seitdem hat sich viel getan.
Steinhöfel:
Uns sind die Hinweise nicht entgangen, etwa durch den KenFM-Beschluss.
Dem Antragsteller kann nicht zugemutet werden, seine Ansprüche im Hauptsacheverfahren geltend zu machen.
LG Berlin 09.09.2018
Az. 27 O 355/18
BVerfG 22.05.2019 (Dritter Weg)
Az. 1 BvQ 42/19 (Pressemitteilung 23.03.2019)
LG Berlin 01.10.2019
Az. 27 O 547/19
LG Berlin 02.10.2019
Az. 27 O 538/19
LG Berlin 28.09.2020
Az. 27 O 351/20
OLG München 2021
Az. 18 W 210/21
Ich kann keinen relevanten Grund sehen für die 180 Grad Wende der Kammer, außer das, was
Tucholsky auf dem Flur vom KG mal gesagt hat: Notwehr.
Thiel:
Man kann nicht alle Fälle über einen Kamm scheren.
Wir haben unsere Rechtsprechung verändert und jetzt verfestigt.
Alles ist im Fluß. Bei diesen Online-Medien kann man nicht alles vorher wissen.
Steinhöfel:
Verfestigung ist falsch, weil da ist schon was da, das wird in stabilere Formen gegossen.
Was Sie machen ist das, was seit zwei Jahren da war, auf den Kopf zu stellen.
Berlin erlässt seit Sept. 2018 Verfügungen. Hier gibt es eine Rechtsprechung seit zwei Jahren.
Nach Hamm und Frankfurt geht man nicht, Celle weiß ich nicht. Berlin ist jetzt tot.
Thiel:
Das ist meine Rechtsmeinung aus heutiger Sicht.
Reitschuster:
Bin Mitglied der BPK
Habe 173.000 Abonnenten
Merkel sagte zu mir Maßnahmen seien nicht wissenschaftlich, sondern politisch begründet
Mein Kanal hat Relevanz
wenn ich vor der BTW gesperrt werde, kann ich nicht mehr von der BPK berichten
Ich war 16 Jahre in Rußland und hab immer gesagt: die Pressefreiheit in Deutschland ist so toll!
Ich distanziere mich inzwischen von Wolfgang Wodarg, muss auf Nummer sicher gehen
Eine Woche Sperre ist eine Signalwirkung. Sperre hängt wie Damoklesschwert über mir.
Seibert schaut mir zu, hat er indirekt zugegeben.
Nichts extremistisches, das schreibt die NZZ über mich.
Ich pass höllisch auf, was ich sage.
Das ist eine Gratwanderung.
Ich kann jemanden nicht interviewen, weil ich nicht weiß, wie YT reagiert
Ich möchte frei berichten können
Ohne Verfügung habe ich ganz lang diese Unsicherheit.
SPD-Abgeordneter hat bei mir den Lockdown kritisiert
Thiel:
Sie haben einen vertraglichen Anspruch und der ist an bestimmte Richtlinien gebunden, denen Sie zugestimmt haben und an diese Richtlinien muss man sich halten.
Ein Grundrecht ist ein Abwehrrecht gegen den Staat und nicht gegen Vertragspartner.
Art 5 gewährt nicht, daß Sie auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen sich äußern dürfen
Sie haben auch keinen Anspruch, daß der Tagesspiegel Sie druckt
Sie müssen sich an die Gemeinschaftsstandards von YT halten
Es gibt hier bestimmte Regeln, gegen die Sie verstoßen.
Es gibt neue Regeln, die sich mit Corona beschäftigen.
Man darf Meinungen, die gegen die Richtlinien verstoßen, nur veröffentlichen, wenn man sich von den Meinungen, die gegen die Richtlinien verstoßen, distanziert oder etwas aufdecken möchte
Man darf Meinungen, die gegen die Richtlinien verstoßen, nicht unkommentiert veröffentlichen.
Steinhöfel:
Es irritiert mich dass Sie Tagesspiegel mit YT vergleichen
Thiel:
Mittelbare Drittwirkung gibt es, Art. 3
die unmittelbare Abwendung des Art 5 gibt es nicht
Steinhöfel erklärt Unterschied zwischen Warnung, Verwarnung
Verwarnung ist entscheidend weil es ein Eskalationsmuster gibt
Verwarnung ist Grundlage für nächste Eskalation
Thiel:
Um die Rücksetzung des Zählerstandes geht es in diesem Verfahren nicht
Steinhöfel:
Verwarnung ist Auswirkung über die Entfernung des Videos hinaus.
YT hat Videos oft zu Unrecht entfernt, was zum Verlust des Kanals führen kann
In Nürnberg wird von YT kein Wort mehr zur Entfernung vorgetragen.
Die Klage ist am LG Berlin in einem Jahr terminiert, und eh die beim KG rechtskräftig ist, muss man drei Jahre warten und dann ist sein Kanal drei Jahre weg. Daß er solange warten soll, ist unzumutbar.
Jede Verwarnung beinhaltet die Gefahr, gelöscht zu werden.
Das Damoklesschwert der Verwarnung hängt über ihm und es droht die Eskalationsspirale.
Es gibt die greifbare Gefahr, daß es zur Bundestagswahl hin eskaliert.
Thiel: Es geht hier nur um diese eine Veröffentlichung.
Reitschuster:
Vor der BTW ist mein Kanal zur Willensbildung da,
Ich babe zwei neue Verwarnungen bekommen
Ich kann ein halbes Jahr vor der Wahl nicht mehr normal reden, weil ich mich selbst zensieren muss
Thiel:
beA geht in die Littenstraße und wieder zurück
Schriftsatz vom 02.03.2021 war erst am 9.3. auf der Geschäftsstelle
beim Verfügungsverfahren lieber faxen
Verwarnung zeitlich befristet
90 Tage wirksam
dann fällt sie weg
Es gibt keinen Verfügungsanspruch
Ich habe Verfügung erlassen, weil Verstoß gegen die Richtlinie Identitätsdiebstahl nicht verfangen hat.
Jetzt ist es ein Verstoß gegen die COVID-19 Richtlinie
Steinhöfel:
Ich habe Bedenken bezüglich der Auswechslung des Grunds, wenn es um die Rechtmäßigkeit der Entfernung geht
Das nimmt dem Antragsteller die Möglichkeit, zu diesem konkreten Verstoß Stellung zu nehmen.
Thiel:
Das Interview ist problematisch unter dieser COVID-19 Richtlinie
Es ist ein Zueigenmachen
Thiel zu Reitschuster:
Sie müssen klar machen, warum Sie die Äußerung veröffentlichen, warum Sie sich die Äußerung nicht zu eigen machen.
Sie müssen deutlich machen, warum sie es publizieren, z. B. weil die Äußerung problematisch ist
Sie haben keine Distanzierung gemacht, zu der Sie vertraglich gebunden waren.
Google:
Es lag ein technisches Problem vor, weshalb die Richtlinie Identitätsdiebstahl vorlag
Per E-Mail gab es aber Verlinkung zur COVID-19 Richtlinie
Antragsteller veröffentlicht die ganze Zeit zu Corona
Die COVID-19 Richtlinie ist vom Mai und Antragsteller hätte im August über diese Richtlinie Bescheid wissen müssen
Wie man die Entfernung begründet, ist austauschbar.
Das Video wurde aufgrund der COVID-19 Richtlinie entfernt
Steinhöfel:
Am Ende einer E-mail von Google werden alle möglichen Richtlinien erwähnt, in der zehn potentielle Richtlinien Verstöße drin stehen.
Reitschuster:
Ich hab fünf mal YT geschrieben, ich distanziere mich vom Interview.
Ich lade es noch mal neu hoch und schreibe dazu: ich distanziere mich ausdrücklich davon, aber ich publiziere es dennoch im Sinne der Meinungsfreiheit.
Unter Vertragspartnern findet man einen Weg, einen Kompromiss.
Thiel zu Reitschuster:
Das Problem beim Beitrag ist daß es nicht eine Äußerung ist, sondern Sie geben dem Interviewpartner einen breiten Raum, um bedenkliche Theorien zu verbreiten.
Man liest (im Transkript), daß es den Virus gar nicht gibt.
Dann heißt es: Den Virus gibt es schon, aber den haben 80 Prozent aller Menschen in sich und der ist nicht mehr gefährlich. Das widerspricht sich alles.
Hier geht es nicht eine Äußerung, von der man sich distanzieren kann.
Ihr Interviewpartner ist Corona-Leugner. Das ganze Interview ist problematisch.
Reitschuster zu Thiel:
Ich fordere die Zuschauer auf, sich auch aus anderen Quellen zu informieren.
Steinhöfel über Reitschuster zu Thiel:
Er kann nicht ständig bei jedem Interview mit einem Disclaimer rumlaufen.
Spiegel TV interviewt auch Querdenker und Reichsbürger.
Welcher Journalist läuft ständig mit dem Schild rum: Ich distanziere mich!
Thiel:
Die Vertragsbedingungen sind zu beachten, was zu veröffentlichen ist und was nicht.
Man darf sich eine Äußerung nicht zu eigen machen im Presserecht.
Steinhöfel:
Ich will auch nicht, daß Corona-Unfug verbreitet wird. Aber es gibt dann jetzt ein kategorisches Verbot, eine Auffassung zu vertreten, die der WHO widerspricht.
Thiel:
Darin erschöpft sich diese Richtlinie nicht.
Steinhöfel:
Die Klauseln sind untragbar
Google meint doch: Wir können löschen, war wir wollen
WHO ist demokratisch nicht legitimiert.
Nicht mal 30 Prozent der Staaten sind Demokratien
WHO hat korrupten Äthiopier an der Spritze mit Hilfe Chinas
viele Demokraten kritisieren die WHO
Google:
zitiert BGH Entscheidung vom 28.01.2021
Az. 3 ZR 156/20
RZ 17 zu Fall vom 16.11.2017 Sperrung nicht begründet
Der Unterlassungsanspruch ist zu allgemein formuliert.
Thiel zu Reitschuster:
Sie haben das Schlusswort.
Reitschuster:
Mir geht es nicht so sehr ums Video, ich nehme es gerne bei YT runter und veröffentliche es nur auf meiner Website. Mir geht um die Gefahr einer Sperre durch die Entfernung des Videos, um die Einschränkung auf YT vor der BTW, die wie ein Damoklesschwert über mir hängt.
Steinhöfel:
Ich beantrage eine Vollmachtsrüge.
Antragsgegnerin überreichte Vollmacht als Scan vom 09.03.2021, kein Original
Ich weiß nicht wer das unterschrieben hat, ich bestreite, daß es ein GF ist.
Ich bestreite hilfsweise, das der/die Unterzeichnete alleinvertretungsbefugt ist.
Ich rüge, daß es ein Scan ist.
Thiel zu Reitschuster:
Wenn Sie es akzeptieren, dass das Video gesperrt bleibt, könnten wir uns über die Kosten einigen.
Ergebnis der Verhandlung:
Es gibt bei Google kein Interesse an einem Vorschlag zur gütigen Einigung
Der Termin zur Verkündung ist auf den 25. März 2021 anberaumt.
Nachtrag vom 12.10.2021:
Befangenheitsentscheidung in Sachen
In Sachen Reitschuster ./. Google gibt es eine Neuigkeit:
Boris Reitschuster hatte die Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Er stellte sein Ablehnungsgesuch gegen das Gericht bereits im April.
Das LG wies Reitschusters Gesuch gegen die ZK 27 zurück mit Beschluss vom 21.06.2021.
Dagegen legte Reitschuster sofortige Beschwerde ein beim LG.
Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, die Entscheidung nicht korrigiert und die Akte dem KG vorgelegt.
Das KG hat mit Beschluss vom 28.09.2021 zum Az. 10 W 108/21 die sofortige Beschwerde vom 21.06.2021 zum Az. 27 O 351/20 zurückgewiesen.
Im Ergebnis hatte das Ablehnungsgesuch in der zweiten Instanz keinen Erfolg. Das Gesuch sei unbegründet, so der 10. Zivilsenat.
Der 10. Senat des KG übermittelte die Akte zurück an die ZK 27 des LG. Die Kammer entscheidet nun, wie es weitergeht und ob erneut ein Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt wird.