Laut BILD sind Gold und Türkis «die Farben der palästinensischen Flagge»

Published On: 29. Dezember 2024

Florian Kain und Nikolaus Harbusch veröffentlichten am 27.12. auf BILD.de einen Bericht mit dem Titel «Palästinenser-Farben: Flaggen-Fauxpas um Bundestags-Vize Özoğuz».

Im Beitrag heißt es: «Neuer Wirbel um die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz: Im Karriere-Netzwerk LinkedIn präsentierte sie sich jetzt mit einem komponierten Foto, das im Hintergrund die Farben der palästinensischen Flagge zeigt.» (kreative Nutzung der deutschen Sprache: Präteritum in Verbindung mit «jetzt»)

Doch das Foto ist nicht komponiert, sondern ein Ausschnitt eines Fotos, das Özoğuz, Kronprinzessin Victoria von Schweden und ihren Gatten Prinz Daniel stehend zeigt vor dem Hintergrund der Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Das Foto hat Xander Heinl am 19. November 2023 aufgenommen.

Der Ausschnitt, den Özoğuz als Profilbild auf LinkedIn nutzte, zeigt ausschließlich sie vor dem Hintergrund der Flagge der Bundesrepublik Deutschland (schwarz-rot-gold).

Der gesamte «Hintergrund» des ausgeschnittenen Fotos zeigt vier Farben:

  1. Schwarz
  2. Rot
  3. Gold – im «Hintergrund» der linken Schulter von Özoğuz
  4. Türkis(-Schwarz), Farben der Wand hinter der Flagge der Bundesrepublik Deutschland im Protokollsaal des Reichstags. Özoğuz ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

Die «palästinensische Flagge» hingegen besteht aus anderen Farben:

  1. Rot
  2. Schwarz
  3. Grün
  4. Weiß

Von den «Farben der palästinensischen Flagge» bzw. von den «Palästinenser-Farben» Rot, Schwarz, Grün, Weiß sind also lediglich zwei von vier Farben «im Hintergrund» zu sehen: das Schwarz und das Rot der Flagge der Bundesrepublik Deutschland.

Der Hintergrund des Fotos mit Özoğuz zeigt nicht die Farben Grün und Weiß, zwei wichtige von vier Farben der «palästinensische Flagge».

Die Farben Gold und Türkis, die der Hintergrund des Fotos mit Özoğuz zeigt, sind keine Farben der «palästinensische Flagge».

Die Reichskriegs-Flagge hat die Farben Schwarz-Weiß-Rot. Demnach könnte man analog zur Berichterstattung der BILD berichten, der Hintergrund des Fotos mit Özoğuz zeigt «die Farben der Reichskriegs-Flagge» sowie die «Reichsbürger-Farben» und entsprechend die Schlussfolgerung ziehen, Özoğuz ist eine Reichsbürgerin und Hasserin der Bundesrepublik Deutschland! Macht ja nix, das im Hintergrund gar nicht das Weiß der Reichskriegs-Flagge zu sehen ist. Dafür sind die Farben Rot und Schwarz im Hintergrund und das sind doch «die Farben der Reichskriegs-Flagge». So wird nach der BILD-Logik aus einer Flagge der Bundesrepublik Deutschland die Reichskriegs-Flagge.

Die Geschichte und Gegenwart kennt zahllose Flaggen, in denen die Farben Schwarz und Rot vorkommen. Weshalb wählt BILD.de die «Farben der palästinensischen Flagge», um Özoğuz zu diskreditieren?

BILD.de will bei dem durchschnittlich verständigen Leser den Eindruck erwecken, Özoğuz würde «dem Judentum feindselig gegenüberstehen», wie es im Bericht heißt.

Daß die palästinensische Flagge das Symbol schlechthin sei für die Feindseligkeit gegen das Judentum, ist eine steile These.

Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), sagt dazu: «Das Zeigen der palästinensischen Farben oder Fahne ist per se nicht antisemitisch.»

Aber Tatsache ist, daß das Foto, das Gegenstand der Berichterstattung ist, nicht «im Hintergrund die Farben der palästinensischen Flagge zeigt». Daher sind auch die Schlussfolgerungen falsch, die der Bericht aus der falschen Prämisse zieht, unabhängig davon, ob die die Schlussfolgerungen, die BILD zieht, als richtig oder falsch zu bewerten wären.

Kurios ist die Bewertung von «Innenexperte» Stefan Heck (CDU) «zu BILD»: «Das Foto passt in die Reihe ihrer Entgleisungen! Niemand verlangt von der Bundestagsvizepräsidentin, sich mit Schwarz-Rot-Gold zu präsentieren, aber eine Distanzierung vom Hass der Hamas auf Juden sieht anders aus.»

Weiß ein «Innenexperte» wie Stefan Heck nicht, wie die Flagge der Bundesrepublik Deutschland aussieht? Unwahrscheinlich. Daher verletzt der Unionspolitiker Heck das «Fairness-Abkommen» für den Bundestagswahlkampf, das die CDU u.a. mit der SPD geschlossen hat.

Und der Beitrag der BILD verletzt den Pressekodex:

  1. Die Präambel verlangt von Journalisten: «Sie nehmen ihre publizistische Aufgabe fair, nach bestem Wissen und Gewissen, unbeeinflusst von persönlichen Interessen und sachfremden Beweggründen wahr.»
  2. Ziffer 1 lautet: «Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.»
  3. Und Ziffer 2 fordert Journalisten auf: «Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben.»

Stand 29.12.: Der Bericht bleibt publiziert und ist noch immer auf BILD.de abrufbar ohne Korrektur.

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