Sudanesische Frauen: Ihr Wissensdrang kennt keine Grenzen
Reportage zur Lage der Frau im Sudan
An ihr ist nichts zu erkennen außer ihren schwarzen Augen. Gesichtsschleier, Gewand und Handschuhe trägt sie auch bei 45 Grad Celsius. Sie erforscht für ihr Land Sudan das Weltall, das so schwarz ist wie ihre Augen. Ihr Name ist Hoyam Abo Baker Yousif. Sie ist 25 Jahre jung und erst am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn.
Sie forscht am sudanesischen Institut für Weltraumforschung und Raumfahrt, auf Englisch „Institute of Space Research and Aerospace“, abgekürzt ISRA.
ISRA ist die NASA des Sudans mit Sitz in der Hauptstadt Khartoum und Hoyam ist eine hochspezialisierte und top ausgebildete Mikrogravitations-Forscherin. Sie gehört zur wissenschaftlichen Elite ihres Landes, das Frauen prägen.
Hoyam jongliert mit Zahlen und Formeln. Sie widme ihr Leben der Weltraumphysik, weil sie ihrem Land dienen wolle. „Ich möchte immer noch besser werden auf meinem Fachgebiet“, erzählt mir Hoyam am Rande der ersten deutsch-sudanesischen Hochschul-Konferenz im Wissenschaftsministerium in Khartoum.
ISRA wurde 2014 gegründet und entwickelt bereits Satelliten. Bis zur bemannten Raumfahrt ist es im Sudan noch ein weiter Weg, aber durch solch fähige Weltraum-Physikerinnen wie Hoyam scheint eines Tages alles möglich.
Ich frage die naturwissenschaftlich rationale Weltraumphysikerin, was ihr Traum sei? „Mein Traum ist es, als erste Sudanesin in den Weltraum zu fliegen“, sagt Hoyam.
Eine sudanesische Astronautin im Niqab an Bord eines NASA-Space Shuttles auf dem Weg zum Mars. Als erste Muslima im Weltall. Das mag heute vielleicht noch kein realistisches Szenario sein, aber die Träume der Frauen des Sudans sind nicht unbegründet und so groß wie die Freiheit der Wissenschaft.
Hoyams Vision vom Erkunden des Weltraums ist nur ein Beispiel von vielen, wie hoch die Ambitionen sudanesischer Forscherinnen sind.
Vielleicht wird ISRA sogar einmal mit der NASA in den USA kooperieren – nach der Aufhebung der unilateralen US-Sanktionen.
Der Sudan ist ein Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Kulturen. Das ist auch an den verschiedenen Kleidungsstilen erkennbar.
Die Frau im Sudan entscheidet selber, ob sie Niqab, Hijab oder ihr Haar unbedeckt trägt. Für ihren Erfolg spielt es keine Rolle. Die Mehrzahl der Frauen im akademischen Milieu scheint nicht verschleiert zu sein, so mein persönlicher Eindruck nach einer Woche auf wissenschaftlichen Konferenzen und Besuchen in Universitäten.
Frauen im Sudan stehen (auch früher schon) erheblich selbstbewußter und sichtbarer im Berufsleben als in den meisten anderen islamischen Staaten Nordafrikas und Südwestasiens.
Ein Beispiel: Das sudanesische Ministerium für Hochschulbildung und wissenschaftliche Forschung wird von einer Frau geführt. Die Ministerin heißt Sumaya Abu Kashawa. Während eines persönlichen Gespräches in der Neelain Universität am 8. März, dem Internationalen Tag der Frau, antwortet sie auf meine Frage nach den Aufstiegschancen von Frauen im sudanesischen Wissenschaftsbetrieb: „Nicht nur für die Politik, auch für die sudanesische Gesellschaft ist gleichberechtigte Teilhabe der Frau in allen Bereichen Normalität. Es gibt keine Einschränkungen.“
Der Glaube ist den Sudanesinnen, wie den Sudanesen, sehr wichtig. Die fünf Gebete werden wenn möglich verrichtet. Offizielle Veranstaltungen beginnen mit der Rezitation einiger Verse aus dem Heiligen und Edlen Qu’ran. Und die Vorlesungen an der Universität mit den Worten: „Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!“
Ich spreche die Ministerin auf meine Beobachtung an, daß bei weiten nicht alle Frauen im akademischen Betrieb den Hijab tragen, und nur wenige Niqab. „Solche Äußerlichkeiten wie der Kleidungsstil sind völlig unerheblich und spielen keine Rolle an privaten oder öffentlichen Hochschulen“, kommentiert die Ministerin die Frage nach dem heutigen Lebensstil der Akademikerinnen im Sudan und weist darauf hin, daß der Sudan schon vor 20 Jahren eine Frau zur Richterin am Obersten Gerichtshof ernannte, als dies etwa in Ägypten noch von der Verfassung verboten war.
2016 sind zwölf von 27 Richtern am Obersten Gerichtshof in Khartoum Frauen. Am obersten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, sind sieben von 16 Richtern weiblich. Da kann die Frauenquote am Höchsten Gericht des Sudans mehr als mithalten.
Der verfassungsrechtlich verankerte Mindestanteil von Frauen im Nationalen Parlament des Sudans ist seit 1992 von zehn auf 30 Prozent angehoben worden. Auch für die politischen Parteien und die öffentliche Verwaltung gibt es einen verfassungsrechtlich festgeschriebenen Anteil an Frauen von mindestens 30 Prozent. In Deutschland gibt es eine solche gesetzliche Regelung nicht. Von 709 Mitgliedern des Deutschen Bundestages sind lediglich 219 Frauen.
Ermöglicht wird die akademische Karriere sudanesischer Frauen durch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und durch das Engagement von Verwandten und Angehörigen. Bildung hat in der Gesellschaft einen hohen sozialen Stellenwert. Familien unternehmen große Anstrengungen, damit ihre Töchter studieren können. Die traditionelle Großfamilie des Sudans hilft bei der Kinderbetreuung. Wenn das nicht klappt, etwa, weil die Großeltern gestorben sind, gibt es an jeder Universität eine Kinderbetreuung und an vielen Orten des Landes Kindergärten.
Ministerin Kashawa hat zwei Kinder und sagt, die Gesellschaft, der Staat und die Großfamilie unterstützen sie, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Die Ministerin sagt: „Meine Work-Life-Balance stimmt!“
Im Sudan ist es für eine Frau nichts ungewöhnliches, mehrere Kinder zu bekommen. Die sudanesische Erziehungsministerin hat fünf Kinder, die Kommunikationsministerin vier, die Sozialministerin ebenfalls vier, die Gesundheitsministerin zwei. Viele Sudanesinnen fragen mich, ob es stimme, daß Angela Merkel keine Kinder habe. Wenn ich antworte, daß Merkel keine eigenen Kinder habe, reagieren die meisten Sudanesinnen überrascht.
Im akademischen Leben des Sudans haben die Frauen die Männer mehr als eingeholt. 52 Prozent der Studenten und Wissenschaftler sind Frauen. Mit Professor Siham Ahmed Bakhit ist zum ersten Mal eine Frau die Präsidentin einer Universität im Sudan geworden. Die Alumna der Freien Universität Berlin ist medizinische Biochemikerin an der Al Zaiem Al Azhari Universität. Die klinische Pathologin Nazik Elmalaika Hussein ist Vize-Dekanin an der Islamischen Universität Omdurman. Nur zwei der vielen Beispielen von Frauen in hohen Führungspositionen an Hochschulen.
Randa Abdel Hadi Diab, 40, hat sieben Jahre in Schweden geforscht und kam in den Sudan zurück, um an Sudans erster und ältester Frauenuniversität (gegründet vor 100 Jahren!) zu unterrichten.
Die Ahfad Univrsität ist eine private, also regierungsunabhängige und auch nicht gewinn-orientierte Hochschule mit 6000 Studienplätzen ausschließlich für Frauen aus allen sozialen Schichten und geographischen Regionen, so Universitätspräsident Gasim Badri, dessen Großvater Babikr Badri die Ahfad Universität einst gegründet hat. 50 Prozent der Studentinnen bekommen hier Stipendien. 20 Prozent bekommen die Studiengebühren erlassen. Unterrichtet wird auf Englisch. Wie uns Professor Badri sagte, seien die Studentenverbände im Sudan generell hoch politisiert und sehr aktiv.
Aus der Sicht der sudanesischen Hochschulverantwortlichen sind Frauen ein wesentlicher Faktor für die Ausschöpfung der Entwicklungspotentiale des Landes. Deshalb versprechen sie sich auch viel von der geplanten akademischen Partnerschaft zwischen Deutschland und dem Sudan. Sie begrüßten es, daß auch der DAAD in der internationalen Hochschulkooperation einen derartigen Schwerpunkt setzt, und die Karriere-Chancen von Wissenschaftlerinnen fördern möchte.
Derzeit unterstützt der Deutsche Akademische Austausch-Dienst (DAAD) 22 deutsche Studenten und Wissenschaftler im Sudan, sowie 220 Sudanesen in Deutschland. Die durch die soeben zu Ende gegangene erste gemeinsame Hochschulkonferenz geknüpften Kontakte sollen diese niedrigen Zahlen wieder in die Höhe treiben.
Vor zehn Jahren seien doppelt so viele Sudanesen durch den DAAD gefördert worden, so DAAD-Direktor Roman Luckscheiter, der sich mit großem Einsatz für die Sudan-Kooperation engagiert und zusammen mit der Ministerin Kashawa schon Pläne für eine zweite deutsch-sudanesische Hochschulkonferenz im nächsten Jahr schmiedet.
Die unilateralen Sanktionen der USA gegen den Sudan waren ein erhebliches (obwohl so vermutlich gar nicht beabsichtigtes) Hindernis für die akademische und wissenschaftliche Entwicklung im Sudan. Dazu Ministerin Kashawa: „Wir können an unsere im Ausland studierenden Stipendiaten kein Geld überweisen, obwohl die Mittel dazu bereitstehen, weil der Sudan vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten ist. Hier im Land selber können unsere Universitäten viele für Forschung und Lehre benötigte Produkte nicht anschaffen, wie zum Beispiel dringend benötigte Lern-Software, IT-, Medizin- und Labortechnik.
Produkte, die dennoch ihren Weg in den Sudan finden, sind überteuert. Wissenschaftliche Verlage (selbst nicht-amerikanische, wie etwa Elsevier) akzeptieren keine Artikel, die von sudanesischen Autoren eingereicht werden.“ Die Ministerin wünscht sich deshalb erst einmal mehr ausländische Studenten und Forscher, die im Sudan arbeiten wollen. Das hilft dann auch gegen Vorurteile, sagt sie: „Es ist immer besser, erst dann zu urteilen, wenn man sich zuvor einen eigenen Einblick verschafft hat.
Mein Eindruck als Journalist, der den Sudan besuchen durfte, lautet: Die sudanesische Frau darf sich frei entfalten zwischen Tradition und Moderne und ist eine treibende Kraft des blühenden akademischen Aufstieg ihres Landes. Wer dem Sudan die Unterdrückung der Frau unterstellt, sollte noch einmal genauer hinschauen. Es lohnt sich!