Wie geht die Polizei Berlin um mit der Hassrede auf X? Und warum bleibt sie der Plattform von Elon Musk treu?

Published On: 24. April 2025

Die Polizei Berlin hat weit über eine Million Follower auf X und betreibt auf dem sozialen Netzwerk von Elon Musk mehrere Profile mit großer Resonanz. Neben X postet die Polizei Berlin zwar auch auf TikTok, YouTube, WhatsApp-Kanälen, Instagram, Facebook-Seiten und betreibt den Podcast «Verschlusssache», der bei allen gängigen Podcast-Anbietern abrufbar ist. Doch X ist für die Polizei Berlin im Hinblick auf Reichweite, Informationsvermittlung und Frequenz aktuell noch die Hauptkommunikationsplattform (auf Instagram kommt die Polizei Berlin lediglich 131.000 Follower).

Bis zu zehn Mitarbeiter arbeiten in der Social Media-Abteilung der Polizei Berlin, die X bespielt. Insbesondere zwei X-Profile sind derzeit die reichweitenstärksten Kommunikationskanäle der Polizei Berlin «und daher für die Einsatz-, Reputations-, und Krisenkommunikation unverzichtbar», sagt Anja Dierschke, Pressereferentin der Polizei Berlin.

  • Profilname: @polizeiberlin
  • Follower: 661.743
  • Postings: 18.017
  • Profilname: @PolizeiBerlin_E
  • Follower: 453.105
  • Postings: 18.942

Die Polizei München hat zum Vergleich 512.864 X-Follower, die Polizei Hamburg 239.675 und die Polizei Köln 95.528.

Im März 2014 begann die Polizei Berlin auf @polizeiberlin und über Einsätze auf @PolizeiBerlin_E zu tweeten. Im September 2019 kam speziell für das Thema Prävention der Twitter-Kanal @PolizeiBerlin_P hinzu mit 4.471 Followern und 1.260 Postings. Und im November 2017 das Konto @PolizeiBerlin_K für alle, die Karriere machen wollen im Polizeidienst.

Twitter war in seiner Form eines nicht algorithmus-basierten Kurznachrichtendienst sehr gut für die schnelle informative polizeiliche Kommunikation geeignet. Vor den durch Elon Musk initiierten Veränderungen auf der Plattform gab es keine auf Interessenbasis gefilterte Timeline, wodurch Inhalte von gefolgten Accounts den Nutzern chronologisch und gleichberechtigt angezeigt wurden.

Seitdem Musk sich auf X immer mehr in die Politik einmischt und die Plattform zu einem globalen Netzwerk für Rechtspopulisten ausbaut, entscheiden sich immer mehr Behörden in der Bundeshauptstadt für den eXit.

Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin begründete den Rückzug seiner Behörde von X wie folgt: Kommentare unter Postings des Profils @GStABerlin «sind mit unserem Engagement gegen Hasskriminalität schwer vereinbar». Als Beispiel nannte der Sprecher «Ressentiments gegenüber Ausländern, Mutmaßungen über die Tathintergründe, welche die Beschuldigten und die Opfer diskriminierten, sowie die Delegitimierung des Rechtsstaats.»

Der eXit der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die eng mit der Polizei Berlin zusammenarbeitet, wirft die Frage auf, was die Polizei Berlin heute noch auf X hält.

Die Polizei Berlin verfolgt mit der Plattform von Elon Musk andere Ziele als die Staatsanwaltschaft: «Die Polizei Berlin verfolgt unterschiedliche Ziele mit ihrer Social-Media-Kommunikation. So dienen sie der Information und gegebenenfalls Warnung der Bevölkerung, der Vermittlung von Präventionshinweisen, dem Recruiting, der Einbindung der Bevölkerung in polizeiliche Fahndungen und Zeugenaufrufe sowie der Einsatz-, Krisen- und Reputationskommunikation. Die Staatsanwaltschaft nutzte X vorrangig zur Veröffentlichung von Informationen zu Verfahren. Die Kommunikationsziele der Polizei Berlin gehen weit darüber hinaus. Auf die gute Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft wirkt sich deren eXit nicht aus», sagt Dierschke.

Die ausufernde Hassrede, die das Klima auf X zunehmend vergiftet, ist für die Polizei Berlin kein eXit-Grund. Sie bemüht sich um einen differenzierten Blick auf die Problematik: «Hasskriminalität gibt es auf allen Social-Media-Plattformen, hier sei insbesondere Instagram genannt. Das allein kann und wird einen Weggang von X nicht begründen. Alle Social-Media-Plattformen können als Nährboden für Antisemitismus, Radikalisierung und Hassrede genutzt werden. Die Kanäle der Polizei Berlin stehen für einen freiheitlich demokratischen Diskurs und Meinungsfreiheit ohne Hass und Falschnachrichten», stellt Dierschke klar.

Auffallend ist, daß die Polizei Berlin während Einsätzen von Versammlungslagen, Staatsbesuchen (Biden, Selenskyj) oder Großveranstaltungen wie der EURO2024 häufiger und detaillierter auf ihren X-Konten als auf anderen Plattformen wie Instagram und WhatsApp berichtet. Dazu stellt Dierschke fest: «Welche Informationen auf welcher Plattform geteilt werden, entscheidet das Social-Media-Management jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Themen und der Zielgruppen.»

Allerdings sorgen die X-Postings von Elon Musk regelmäßig für heftige Kontroversen. Am 7. November, zwei Tage vor dem Jahrestag der Novemberpogrome 1938, teilte Musk ein Posting des rechtsradikalen schwedischen Holocaustleugners Peter Imanuelsen, der behauptete, die «sozialistische Regierung» sei kollabiert (Fake News!). Und im Wahlkampf behauptete Musk mehrmals, nur die AfD könne Deutschland retten. Wie findet die zur politischen Neutralität verpflichtete Polizei Berlin diese kontroversen Postings des X-Chefs? «Die Polizei Berlin bewertet die Posts des Plattforminhabers nicht», antwortet Dierschke. 

Solange die Polizei Berlin an ihren X-Kanälen als Hauptkommunikationskanälen festhält, solange müssen auch Journalisten und an Polizeieinsätzen interessierte Bürger auf X bleiben, wenn sie kein wichtiges Posting der Polizei Berlin verpassen möchten. Bleibt die Vorbildfunktion Polizei Berlin im sozialen Netz auf der Strecke? «Die Polizei Berlin ist sich ihrer Vorbildwirkung durchaus bewusst, bezweifelt allerdings, daß ihre Präsenz auf X allein über den Verbleib anderer auf der Plattform X entscheidet. Relevante Informationen werden mittlerweile u.a. auf WhatsApp veröffentlicht und die Pressestelle informiert Journalistinnen und Journalisten bei Bedarf über alle relevanten Einsatzinformationen, sodaß auf X keine Exclusiv-Informationen verbreitet werden», erläutert Dierschke.

Über die weitere Relevanz von X werde fortlaufend unter Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklung entschieden. Die X-Alternativen BlueSky und Mastodon versprechen aus Sicht der Polizei Berlin wenig Erfolg. Die Polizei Berlin hat auf Mastodon vom 24.07.2023 bis 16.11.2023 testweise einen aktiven Account betrieben. «Es hat sich gezeigt, daß für eine relevante, breite Bürgerkommunikation die Plattform nicht geeignet war», lautet Dierschkes Bilanz.

Neben dem Einsatz-Twittern, der regulären Social-Media-Einsatzkommunikation von großen Einsätzen, hat mittlerweile auch das Notruf-Twittern bei der Polizei Berlin eine lange Tradition

Das Posten von allen Notruf-Einsätzen wurde schon zu verschiedenen Anlässen durchgeführt – u.a. in den Neujahrsnächten 2022/23 und 2034/24 (zusätzlich zur regulären Einsatzkommunikation). Es ist jedoch kein Standardkommunikationsmittel und relativ aufwendig, weil alle Notrufe kommuniziert werden. Das Notruf-Twittern werde es auch in Zukunft zu ausgewählten Anlässen wieder geben, verkündet Dierschke. Jedenfalls so lange, wie die Polizei Berlin der Plattform X treu bleibt.

X-Fallstudie July S.

Im spektakulären Fall Judy S. stößt die Polizei Berlin an die Grenzen ihrer Kommunikation auf X.

Am 12.11.2024 hat die Polizei einen neutralen X-Beitrag zur entsprechenden Polizeimeldung Nr. 2291 vom selben Tag mit folgendem Wortlaut veröffentlicht:

«Unsere Einsatzkräfte durchsuchten gestern Abend mit richterlichem Beschluss die Wohnung einer 27-jährigen Polizeibeamtin. Zuvor meldeten sich zwei Personen auf einem Polizeiabschnitt und gaben an, gemeinsam mit anderen in der Wohnung der Polizeibeamtin gewesen zu sein. Die beiden Personen seien dort unter Drogen gesetzt worden. Im Anschluss sollen ohne Einverständnis sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen worden sein. Die Durchsuchungsmaßnahmen verliefen mit Erfolg. Unser #LKA ermittelt.»

Zwar wurde der X-Beitrag innerhalb von 22 Stunden über 232.900 mal gesehen, aber eskaliert ist die Hassrede unter dem Posting erst, nachdem BILD und B.Z. am 23.11.2024 über den Fall falsch berichtet haben. Die Springer-Presse machte die Polizistin zum Mann, zur Trans-Frau mit Penis, die angeblich zwei Bundespolizisten mit einer Penispumpe gequält und sexuell mißhandelt hätte. Alles frei erfunden! Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlung wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts gegen Judy S. ein. Doch der Hass gegen die Polizeibeamtin kannte auf X keine Grenzen. Und das wurde zum handfesten Problem für die Polizei Berlin.

«Das ist doch eine Szene aus Pulp Fiction» oder «@polizeiberlin, es ist ein Mann, der sich als Frau bezeichnet, der diese sexuellen Gewaltverbrechen begangen hat. Ein Mann! Und keine Frau! Bitte korrigieren Sie das für Ihre Kriminalstatistik» sind noch die harmlosesten Antworten auf das X-Posting der Polizei Berlin. Die meisten haßerfüllten Äußerungen sind nicht zitierfähig. Auffallend ist, daß viele Nutzer nach Veröffentlichung des ersten BILD-Falschberichts am 23.11. auf X die Bildschirmfotos des BILD-Online-Beitrags unter dem X-Posting der Polizei vom 12.11. teilen, verbunden mit entsprechend hämischen, trans-feindlichen und vorverurteilenden Kommentaren.

Mehrere Nutzer schreiben auf X, daß die erfundenen Behauptungen der BILD-Redaktion über Judy S. wahr seien und machen Stimmung gegen die Polizei Berlin, der vorgeworfen wird, zu lügen bzw. die vermeintliche Enthüllung der BILD vertuschen zu wollen. «Das ist der eigentliche Skandal: @polizeiberlin wird von vielen als Informationsaccount wahrgenommen. Kein Wort über den Hintergrund zu verlieren & den Täter als ‹Polizistin› zu klassifizieren hat mit Information nichts zu tun», schreibt Volljurist Christian Kott über die mutmaßliche bzw. vermeintlich mutmaßliche Täterin.

  • Wie geht die Polizei Berlin um mit der Hassrede auf X?

«Unter dem polizeieigenen X-Beitrag wurden zahlreiche Antworten verborgen, sofern sie nach Einschätzung der Polizei Berlin nicht mehr der allgemeinen Meinungsfreiheit unterlagen. Bei eigenständigen Mentions ist das auf X jedoch nicht möglich», sagt Polizeidirektor Florian Nath, der neue Pressesprecher der Polizei Berlin, der im November 2024 nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Judy S. seine Tätigkeit als Leiter der Pressestelle aufnahm.

Am 23.11.2024 veröffentlichte die Polizei Berlin «in Absprache mit den Vorgesetzten der tatverdächtigen Polizeibeamtin umgehend und aktiv», so Nath, einen weiteren X-Beitrag zu der Meldung Nr. 2291 mit der Bitte, Falschbehauptungen zu unterlassen und die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen zu wahren. Der Wortlaut des X-Beitrags vom 23.11.2024 lautet:

«Zu einem Ermittlungsverfahren, das wir bereits am 12.11. offiziell bekannt gegeben haben, kursieren in den Medien und im Netz diverse Gerüchte über Tathergang und Beteiligte. Bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Die Polizeibeamtin befindet sich aktuell nicht im Dienst, auch ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Wir bitten Sie, ihre Persönlichkeitsrechte und auch die der weiteren Beteiligten zu wahren, Vorurteile und diskriminierende Narrative zu vermeiden.»

Der X-Beitrag vom 23.11.2024 wurde bis heute 97.247 mal gesehen und hat somit weniger als die Hälfte an Aufrufen als der erste X-Beitrag vom 12.11.2024 innerhalb von 22 Stunden erhielt.

Am 17.04.2025 löschte Nath das X-Posting vom 12.11.2024. Die Löschung sei seine persönliche Entscheidung gewesen, sagt Nath und er begründet sie wie folgt:

«Die erste polizeiliche Berichterstattung im Zuge des sogenannten Ersten Angriffs bezog sich auf das zur Anzeige gebrachte, angeblich sexuell motivierte Delikt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hierzu sind eingestellt worden. Insbesondere im Kontext der massiven Falschbehauptungen durch eine Boulevardzeitung habe ich daraufhin entschieden, daß die dem meldebezogen zugrundeliegende, erste polizeiliche Berichterstattung gelöscht wird.»

Zur Dokumentation Fall Judy S.

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